Myopie-Management

Fragen & Antworten zur MiGel-Neuerung in der Schweiz

Seit Juli ist in der Schweiz das Myopie-Management Teil der Grundversorgung, sodass Krankenkassen Kosten von bis zu 850 Schweizer Franken pro Jahr für Myopie-Management-Gläser oder -Kontaktlinsen übernehmen. Der SBAO hat nun ein Merkblatt veröffentlicht, mit dem offene Fragen rund um die Neuerungen beantwortet werden sollen
Augenoptikerin testet Sitz der Brille auf der Nase eines Kindes

Der Umgang mit den "kleinen Erwachsenen" ist für ein erfolgreiches Myopie-Management besonders wichtig.

© Adobe Stock / LIGHTFIELDSTUDIOS

Im Juni hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Mittel- und Gegenständeliste (MiGeL) um Sehhilfen für die Hemmung von Myopieprogression von Kindern und Jugendlichen erweitert (die DOZ berichtete online). Somit ist die Schweiz das erst zweite Land weltweit, das die Myopie in die Grundversorgung aufnimmt. Der „erfreulich positive Entscheid“ stelle, so der Schweizerische Berufsverband für Augenoptik und Optometrie (SBAO) und OptikSchweiz, „noch eine Reihe von Fragen“. Viele betreffen die Interaktionen zwischen Ophthalmologie und Optometrie sowie die Versicherung und seien zurzeit noch in der interdisziplinären Abklärung. „Das Thema steht zuoberst auf den Tagesordnungen und wir hoffen, dass die meisten Fragen im Laufe des Sommers geklärt werden können. Darum haben wir (…) einen Katalog der häufigsten Fragen und ihren derzeit möglichen Antworten zusammengestellt“, heißt es. Sobald sich weitere Punkte geklärt haben, werde sich die Arbeitsgruppe mit weiteren Infos melden.

In der kommenden August-Ausgabe der DOZ lesen Sie nähere Informationen zu den Gegebenheiten und Anforderungen der MiGeL in der Schweiz.

Fragen und Antworten zur MiGeL-Revision (Update 23.07.24)

1. Sind Arztrezepte nicht mehr notwendig, da nicht bei allen MiGeL-Positionen explizit darauf hingewiesen wird?
Doch. Gemäss Art. 20 der Verordnung des EDI über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (KLV) müssen Mittel und Gegenstände grundsätzlich von Ärzten verordnet werden, mit wenigen Ausnahmen. Daher ist es nicht erforderlich, dies in jeder MiGeL-Position spezifisch zu erwähnen.

2. Muss das Arztrezept für jede Beitragszahlung erneuert werden?
Nein. Wenn in den Limitationen nicht anders angegeben, bleibt eine MiGeL-Verordnung ohne Frist solange als erforderlich gültig. Eine Ausnahme bilden einzig die Beiträge an Kinder und Jugendliche bis 18. Jahre. Hier wird explizit jährlich ein augenärztliches Rezept verlangt. Für die Position 25.02.04.00.1 (Spezialfälle Brillen / Kontaktlinsen III) gilt die Verordnung vom Ausstellungsdatum bis zum vollendeten 21. Lebensjahr.

3. Was ist ein Verordnungsformular und welche Informationen muss der Augenarzt darauf vermerken?
Die Limitation "Verordnung nur durch Fachärzte und Fachärztinnen für Ophthalmologie mittels Verordnungsformular mit mindestens Angaben zur axialen Augenlänge, Nachweis der Progression und bestehendem Myopiegrad" wurde vom BAG ohne Rücksprache mit Optikschweiz, SBAO oder SOG ergänzt. Da keine genaueren Ausführungen folgen, bleibt die Interpretation der verordnenden Stelle und den Krankenkassen überlassen. Grundsätzlich kann jedes Verordnungsformular aus der eigenen Praxissoftware verwendet werden, solange die geforderten Angaben zur axialen Augenlänge, zum Nachweis der Progression (mind. 0.5 Dpt/Jahr) und bestehendem Myopiegrad (Refraktion) ergänzt sind. Wir sind im Austausch mit der Schweizerischen Ophthalmologischen Gesellschaft (SOG), deren Arbeitsgruppe für Strabismus und Kinderophthalmologie ASK sich zum Thema berät und uns eingeladen hat zur Stellungnahme.

4. Welche Mindestangaben muss die Rechnung des Optometristen enthalten, damit sie mit dem beigefügten Rezept 25.02.04.00.1 akzeptiert werden kann? Muss darin angegeben werden, dass die Brille oder die angepassten Linsen zur Kontrolle von Kurz-sichtigkeit bestimmt sind?
Die Krankenkasse sollte idealerweise einfach prüfen können, ob ein Leistungsanspruch besteht. Dafür empfehlen wir, nicht nur den verwendeten Produktnamen auf der Rechnung darzustellen, sondern auch die MiGeL-Position 25.02.04.00.1 zu erwähnen und einen Verweis auf die verwendete Produktkategorie gemäss MiGeL Limitation aufzuführen:

  • Multifokale Kontaktlinsen mit Additionseffekt in der Peripherie (periphere Defokussierung),
  • Kontaktlinsen für die Orthokeratologie bzw.
  • Korrekturgläser zur Kontrolle von Myopie auf der Grundlage eines peripheren oder multifokalen Defokussierungsprinzips.

5. Wird es eine Liste geben, welche Ärzte dafür zertifiziert sein werden, um solche Rezepte auszustellen? Bis anhin machen leider längst nicht alle Augenärzte Myopie-Kontrolle.
Nein. Den Facharzt "Myopie-Management" gibt es nicht, insofern kann, mit den nötigen Informationen, jeder Augenarzt dieses Rezept ausstellen.

6. Laut MiGeL muss für eine Verordnung nach 25.02.04.00.1 die Augenlänge angegeben werden. Was machen Augenärzte, die kein Biometer haben?
Die Angabe der Augenlänge ist zwingend erforderlich für die Verordnung der MiGeL Position 25.02.04.00.1. Verfügt die verordnende Stelle nicht über die Infrastruktur, um die erforderlichen Befunde zu erheben, können diese von Partnern aus der Ophthalmologie oder Optometrie erhoben werden. Für erfolgreiches Myopie Management müssen in der folgenden Versorgung ohnehin regelmässig Messungen der Augenlänge erfolgen. Wir sind im Austausch mit der Schweizerischen Ophthalmologischen Gesellschaft (SOG), deren Arbeitsgruppe für Strabismus und Kinderophthalmologie ASK sich zum Thema berät und uns eingeladen hat zur Stellungnahme.

7. Auf welche Liste bezieht man sich bzgl. Normwerte für die Augenlänge?
Die Formulierung "gemäss aktuellen Wachstumstabellen" wurde gewählt, um zukunftstauglich zu sein und neue Erkenntnisse einfliessen lassen zu können. Einige Biometer haben mittlerweile solche Grafiken für die jeweilige Ethnologie und das Geschlecht direkt in der nativen Software. Sehr breit anerkannt für europäische Kinder sind die Wachstumskurven von Tidemann et al, 12'386 Untersuchten. Titel: Axial length growth and the risk of developing myopia in European children. Publiziert in Acta. Ophthalmol. 2018 May;96(3):301-309. Er hat unterschiedliche Kurven für Jungen und Mädchen. Davon gibt es mittlerweile einige Abwandlungen, die besser verständlich (und farblich schöner) sind. Die SOG-Arbeitsgruppe für Strabismus und Kinderophthalmologie ASK wird das Thema an der SOG Tagung im August beraten und anschliessend Empfehlungen abgeben.

8. Kann ein Augenarzt zur Dokumentation einer Progression auch Werte von einem Optometristen übernehmen?
Diese Frage möchten wir in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Ophthalmologischen Gesellschaft (SOG) klären. Wir hoffen, dass wir ge-meinsam (SOG, Optikschweiz und SBAO) dazu eine Antwort veröffentlichen können.

9. Wie erhalten Patienten, die sich bereits in einem erfolgreichen Myopie-Management befinden, eine solche Verordnung?
Hier gibt es Spielraum für unterschiedliche Interpretationen und wir sind im Austausch mit der Schweizerischen Ophthalmologischen Gesellschaft (SOG), deren Arbeitsgruppe für Strabismus und Kinderophthalmologie ASK sich zum Thema berät und uns eingeladen hat zur Stellungnahme.

10. Im Kanton Bern sind optometrische Messungen an Kindern seit 1.1.2024 auch ohne vorgängige Augenarztkontrolle erlaubt. Gilt dies nun auch für KVG-Leistungen?
Nein. Die kantonale Gesundheitsgesetzgebung und das (nationale) Krankenversicherungsgesetz sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Das KVG verlangt, dass jede Leistung aus der Grundversicherung ärztlich verordnet wird.

11. Es ist von "Optometristin oder Optometrist" die Rede – dürfen "Eidg. dipl. Augenoptikerin und Eidg. Dipl. Augenoptiker" keine Krankenkassenleistung mehr auslösen?
Laut GesBav Art. 13, sind eidg. dipl. Augenoptiker den Optometristen, was die Berufsausübung angeht, gleichgestellt. Das heisst mit "Optometrist" ist in der MiGeL auch eidg. dipl. Augenoptiker gemeint.

12. Gibt es eine Zertifizierung der verschiedenen Produkte, bzw. Vorgaben oder Einschränkungen oder dürfen alle Produkte verwendet werden?
Die Verordnung des Bundes (MiGeL) gibt in der Position vor: "Brillen und KL, die nachweislich eine Hemmung der Myopieprogression bewirken" listet drei Kategorien, zu denen ein Produkt gehören muss:

  • Multifokale Kontaktlinsen mit Additionseffekt in der Peripherie (perip-here Defokussierung),
  • Kontaktlinsen für die Orthokeratologie bzw.
  • Korrekturgläser zur Kontrolle von Myopie auf der Grundlage eines peri-pheren oder multifokalen Defokussierungsprinzips.

Dies wurde so formuliert, um möglichst zukunftsfähig zu sein und bei neuen Innovationen keinen Bedarf zur Anpassung der Verordnung zu haben. Grundsätzlich muss die Krankenkasse den Leistungsanspruch vergüten, wenn sich das verkaufte Produkt in die genannten Kategorien einteilen lässt. Rechtlichen Spielraum hat die Krankenkasse, indem sie durch ihren Vertrauensarzt eine spezifische Beurteilung eines Falles erlassen kann. Hier müsste die versorgende Stelle die Daten ihres Lieferanten zeigen können, welche für das verwendete Produkt belegen, dass es "nachweislich eine Hemmung der Myopieprogression bewirkt". Optikschweiz, SBAO und SOG sind im Austausch und werden je nach Bedarf in Zukunft diskutieren, ob eine Plattform geschaffen wird, auf der o.g. Nachweise gesammelt und beurteilt werden.

13. Wie geht man vor, wenn die Krankenkasse trotz MiGeL Verordnung nicht zahlt?
Häufig werden bei Krankenkassen Belege von Algorithmen geprüft und diese lehnen Ansprüche fälschlicherweise ab. Oder Sachbearbeitende kennen die neue MiGeL Position noch nicht. Ebenso kann vorkommen, dass fälschlicherweise eine neue, bzw, aktuelle Verordnung zur Vergütung eines MiGeL Leistungsanspruches gefordert wird. Diese Problematik ist uns bestens bekannt von Keratokonus Patienten mit MiGeL Nummer 25.02.03. Eine höfliche, aber bestimmte Nachricht an die zuständigen Sachbearbeitenden kann dank Hinweis auf den Sachverhalt das Problem in den meisten Fällen lösen. Bei unrechtmässiger Ablehnung eines Anspruches unterstützt Sie Optikschweiz und SBAO gerne.

14. Haben nun alle Kinder Anspruch auf Vergütung der Kosten von Myopie Kontroll Produkten?
Nein. Profitieren können nur Betroffene bis 21 Jahre, die ohne Intervention später ein höheres Risiko für spätere Netzhautprobleme entwickeln würden. Definiert wird dies über das Risiko, hoch myop zu werden oder bereits hoch myop zu sein und dem Vorliegen einer weiteren Progression von mindestens 0.50 Dioptrien pro Jahr. Die hohe Myopie ist definiert als -5.00 Dioptrien oder eine entsprechende überdurchschnittliche axiale Augenlänge gemäss aktuellen Wachstumstabellen. Zur Auslösung der Versicherungsleistung erforderlich ist eine augenärztliche Verordnung bei progredienter Myopie, welche auch die aktuelle Augenlänge, den Grad der Myopie und eine Bestätigung der Progression konstatieren muss. Bei geringer Myopie und kurzer Augenlänge besteht kein Anspruch, auch wenn zeitweise eine signifikante Progression messbar war.