Koberg & Tente: Brillenproduktion in Münster
Stecken Leidenschaft und Herzblut in den Brillenbau am Standort Münster: Frank Tente (rechts im Bild) und Heinz Michel, ein Brillenbauer der alten Schule. Auf dessen bejahrten Maschinen entstehen heute hochwertige Acetatfassungen.
Erstveröffentlicht in der DOZ 07I23
„Selber Brillen bauen. Nach eigenen Ideen. Mit den eigenen Händen.” In drei kurzen Sätzen fasst Frank Tente die Idee der Brillenwerkstatt am Firmensitz in Münster zusammen, als wir an diesem Aprilmorgen vor der großen Glasfront der ehemaligen Lagerhalle stehen. „Früher stapelte sich hier unsere Handelsware. Wir haben ja nicht nur Brillen verkauft, sondern waren anfangs auch Anbieter eines Gesamtsortiments”, erklärt Martin Jahndel, Verkaufsleiter bei Koberg & Tente. Heute ist rund ein Viertel der Hallenfläche der neuen Brillenwerkstatt gewichen. Anstatt einen externen Standort anzumieten und den Brillenbau auszulagern, wurde dieser in die eigenen Firmenwände integriert, wo die Wege kurz und die Entscheidungen schnell sind – eine gute Lösung, findet Martin Jahndel. Mit der lokalen Brillenfertigung habe man auch ein Zeichen in puncto Nachhaltigkeit setzen wollen, erklärt Frank Tente die Entscheidung für eine ökologische Bauweise: Die Grundkonstruktion, ein Holzrahmenbau mit Holzfaserdämmung, wurde im Innenraum mit Lehmplatten verkleidet und aufwendig mit mehreren Lagen eines Lehm-Stroh-Gemisches verputzt.
Gut zwei Jahre seien von der Idee bis zur Realisierung vergangen, erzählt Frank Tente. Den entscheidenden Impuls für die eigene Brillenherstellung habe er erhalten, als sich die Gelegenheit bot, einen in die Jahre gekommenen, jedoch voll funktionsfähigen Maschinenpark der Firmen Michel-Brillen und S.A.B.A.H.N. für die Produktion von Acetatfassungen zu erstehen. Heinz Michel sei ein „Brillenbauer der alten Schule” und ihr Mentor, „erst er und seine Maschinen ermöglichten den Start des Projekts.”
Über die ersten Modelle aus der Kollektion Eyemax freut sich der Firmenchef. Handarbeit, Liebe zum Detail und höchste Wertigkeit zeichnen die Brillen aus lokaler Produktion aus.
Die 28 Maschinen stammen aus der Nachkriegszeit, die meisten sind aus den 1960er und 1980er Jahren. Als hätten die Maschinen eine Seele, begeistert sich der Firmenchef für ihre einfache Technik: „Es ist wie bei einem alten Automobil, einem Oldtimer! Schaut man in ihr Innenleben, sieht man, dass da nichts digital ist. Einige Maschinen sind aus Frankreich, andere aus dem Cadoretal, der Wiege der italienischen Brillenindustrie. Damals wurden Geräte und Werkzeuge noch mit Liebe zum Detail gemacht. Man achte allein auf die Schaltkonsole mit dem Startfähnchen …”
Eine Rückbesinnung auf den Wert handwerklicher Qualitätsarbeit ist nach unserer Überzeugung auch ein Beitrag zur Nachhaltigkeit.
Die Maschinen sind auf zwei Ebenen angeordnet, gut zwanzig Fertigungsschritte umfasst der Produktionsprozess, jede Brille wandert von einer Maschine zur anderen: Acetatplatten zuschneiden, Innenrand und Nut, Außenrand und Augenhinterrand fräsen, Nasenbereich und Backenbereich werden in mehreren Schritten bearbeitet; das Grob- und Feinschleifen sowie das Vor- und Endpolieren erfolgt in über jeweils 20 Stunden in speziellen Schleif- und Poliertrommeln. Zuletzt erfolgt die Handpolitur jeder einzelnen Fassung durch geübte Hände.
Bis zu 250 Brillen pro Woche
Nach der Beschriftung und Montage folgt das Einsetzen der Gläser, das Ausrichten, Verpacken und Versenden. Wöchentlich werden an die zweihundert bis zweihundertfünfzig Brillen gefertigt. Noch läuft die Produktion langsam – aber bei Koberg & Tente hat niemand große Eile. „Wir könnten auch 200 Brillen pro Tag herstellen, dann bräuchte ich aber mehr Personal”, gibt der Chef zu bedenken. Produziert werden kleine Serien, dreißig, vierzig Brillen in einem Durchlauf pro Maschine: „Es ist also im klassischen Sinne keine Einzelproduktion wie in einer reinen Manufaktur. Aber drei Maschinen führen hier die Arbeitsschritte aus, die bei einer modernen Produktion von einer computergesteuerten CNC-Fräse erledigt werden.”
Ob Holz oder Acetat: Sarah Mersmann kennt die handwerkliche Verarbeitung beider Materialien, das Bohren, Fräsen, Schleifen. Bei einer Acetatbrille brauche es mehr Fingerspitzengefühl, die Formen seien filigraner, sagt die gelernte Tischlerin.
Frank Tente legt eine Acetatplatte in den Schuber der Fräse, die den Innenrand formt. Es kommt, was kommen muss, der gefürchtete Vorführeffekt: Der Schuber hakt! Er nimmt es gelassen. Es gebe immer wieder mal Probleme, dass eine Maschine nicht so läuft, wie sie sollte. „Ruft man dann einen Techniker an, können die einem meistens nicht weiterhelfen, es fehlt am alten Know-how.” Im April war der WDR für Filmaufnahmen zu Besuch, auch da habe es eine solche Situation gegeben, schmunzelt er. „Plötzlich spritzte Öl aus einer Maschine, die tags zuvor noch einwandfrei lief.”
Schön ist, dass man am Ende eine Brille in den Händen hält, die man mit Hilfe der alten Maschinen selber gemacht hat.
Die größte Herausforderung sei derzeit das Wissen um die Maschinentechnik. Kaum jemand kenne sich noch mit analogen Geräten aus. „Unsere Erfahrung aus den ersten Monaten ist, dass man sich sehr viel selber aneignen muss.” Oder man hat eben einen Heinz Michel, der oft in Münster vorbeischaut und immer telefonisch mit Rat und Tat zur Seite steht. Probleme seien dazu da, sie zu lösen, sagt Frank Tente. Im Brillenbau bei Koberg & Tente ist das weniger eine technische Frage, es gehöre zur Philosophie, dem Selbstverständnis des Unternehmens, bestätigt Martin Jahndel: „Wir lernen jeden Tag etwas dazu.”
Ein gutes Auge, Erfahrung und Feingefühl zeichnen auch Augenoptikerin Katja Greiwe aus, hier bei der Handpolitur einer Acetatfassung.
In der Werkstatt arbeiten sie zu dritt. Frank Tente: „Handwerkliches Arbeiten hat mich immer schon interessiert. Meine Möbel baue ich am liebsten selbst. Meine Frau würde lieber ganz normal in ein Möbelhaus gehen – doch das geht mit mir nicht”, lacht er. „Das Gefühl, etwas selber mit den eigenen Händen zu bauen, ist mit nichts zu vergleichen.” Katja Greiwe ist Augenoptikerin, aber Brillen zu bauen ist auch für sie neu. „Während meiner Ausbildung habe ich zwar das Handwerk gelernt und die eine oder andere Brille per Hand gesägt und gefeilt. Da ging es aber nur um ein einziges Modell, mit dem war man als Azubine lange beschäftigt. Hier in der Brillenwerkstatt ist meine Aufgabe sehr abwechslungsreich: Wir beschäftigen uns von Anfang an mit dem Produkt, überlegen von der Idee bis zur technischen Zeichnung die Umsetzung – was geht und was nicht.” Bei seiner Entscheidung für das Projekt zählte der Chef auf sie: „Katja war schon bei der Begutachtung der Maschinen dabei und sie war ebenso begeistert wie ich. Wenn du mitziehst, dann machen wir das, habe ich zu ihr gesagt.”
Einrichtung der Maschinen größte Herausforderung
Kollegin Sarah Mersmann ist gelernte Tischlerin. Ihre Ausbildung hat sie in einer Werkstätte speziell für Menschen mit Beeinträchtigungen gemacht, in der die Holzmöbel für Koberg & Tente gebaut werden. Sie kennt die handwerklichen Kniffe und Feinheiten der Verarbeitung von Holz, das Bohren, Fräsen, Schleifen. Sarah Mersmann: „Holz ist schon schön, aber bei der Brille arbeitet man feiner, filigraner.” Die wohl größte Herausforderung sei das Einrichten der Maschinen, sagen alle drei unisono. Katja Greiwe: „Immer dann, wenn wir die Produktion von einem neuen Modell starten. Wenn es einmal läuft, ist alles gut. Aber bis es soweit ist, geht das Justieren in die Hundertstel. Dafür braucht es viel Erfahrung.”
Bewährte Technik: Unter den 28 Maschinen sind Drehstromautomaten mit einfacher Kopierfrästechnik und weitere Geräte für einzelne Arbeitsschritte.
In diesem Moment ruft Heinz Michel an. Der mittlerweile über 80-Jährige habe ein unschätzbares Know-how, sagt Katja Greiwe. Frank Tente: „Seine Maschinen hat er teils modifiziert und an seine technischen Bedürfnisse angepasst. Er steckt da sehr tief drin. Zu seiner Zeit war man eben nicht nur Brillenbauer, sondern auch Werkzeugmacher, musste bestimmte Geräte selber bauen, weil es diese auf dem Markt nicht gab. Als ich die Maschinen gesehen habe, war ich sofort begeistert”, sagt Tente lächelnd, „diese alte Technik ist so schön, dass man sie zeigen muss und nicht in einem Keller verstecken sollte”. Diesem Gedanken entsprang die Idee der „gläsernen Werkstatt”: Eine Brillenwerkstatt, transparent und für viele Menschen zugänglich, die bei der Herstellung der Fassungen dem Team von Koberg & Tente über die Schultern schauen können.
Wir wollen Brillen bauen, die Emotionen erzeugen. Es entsteht einfach ein anderes Bewusstsein, wenn man den Aufwand hinter einer handwerklichen Produktion versteht.
„Augenoptikerinnen und Augenoptiker, Schulklassen, interessierte Besucher sind herzlich eingeladen. Es soll kein Museum sein, sondern eine Produktion zum ,Erleben‘, die zeigt, welche einzelnen Arbeitsschritte bei der manuellen Brillenfertigung notwendig sind und was ihre Qualität ausmacht. Die Manufaktur sorgt für Geschichten, die uns von anderen Herstellern abheben.”
Passionierter Handwerker: Frank Tente verkleidet die Wände mit Lehmbauplatten. Lehm, der älteste Werkstoff der Menschheit, sei ökologisch, verfüge über hervorragende Dämmeigenschaften und sorge für ein angenehmes Raumklima, erklärt der Chef.
Zum Konzept der lokalen Brillenproduktion gehört darüber hinaus die neue, zu einhundert Prozent vor Ort gefertigte Kollektion H3INZ. Sie steht für drei „heinzigartige“ Menschen: Heinz Koberg, Mitbegründer des Unternehmens, Heinz Tente, den im vorletzten Jahr verstorbenen langjährigen Geschäftsführer von Koberg & Tente und Heinz Michel. Die drei H verkörperten all das, was das Unternehmen und das Projekt der eigenen Brillenproduktion ausmache, sagt Frank Tente: „Hand. Herz. Heimat. Symbol unserer Leidenschaft für eine Idee und deren Umsetzung.”
Fotos: Koberg & Tente; Angela Mrositzki