Krankenkassen-Zuschuss

Was die Aufnahme von Myopie-Management in Schweizer MiGeL bedeutet

Die harte Arbeit des Schweizerischen Berufsverbands für Augenoptik und Optometrie (SBAO) und des Fachverbands OptikSchweiz haben sich ausgezahlt: In der Schweiz wird das Myopie-Management seit Juli von den Krankenkassen bezuschusst. Welche Bedingungen an eine Kostenübernahme geknüpft sind, was diese Entscheidung für die Zusammenarbeit von Augenärzten und Augenoptikerinnen bedeutet und wie die Aussichten einer möglichen Bezuschussung in Österreich sind, lesen Sie hier.
Optometrische Untersuchung bei einem Kind
© Adobe Stock / Viacheslav Yakobchuk

Erstveröffentlichung in der DOZ 08I24

Seit Juli dieses Jahres wird Myopie-Management in der Schweiz von den Krankenkassen in Teilen übernommen (die DOZ berichtete). Der Schweizerische Berufsverband für Augenoptik und Optometrie (SBAO) hat in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe mit dem Fachverband OptikSchweiz erreicht, dass Myopie-Gläser und -Kontaktlinsen in die Mittel- und Gegenständeliste der Krankenpflege-Leistungsverordnung KLV (MiGeL) aufgenommen wurden. Damit ist die Schweiz weltweit erst das zweite Land, das die Myopie in der Grundversicherung abdeckt. Konkret zahlen die Krankenkassen pro Jahr bis zu 850 Schweizer Franken bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs.

Um die Übernahme gezahlt zu bekommen, muss ein Augenarzt eine entsprechende Verordnung ausstellen. Diese Verordnung muss die Angaben von axialer Augen länge, Progressionsnachweis und Myopie-Grad enthalten (siehe Infokasten auf der Folgeseite). Bei Schweizer Krankenkassen gilt eine Vorkasse-Regelung. So muss jede Kundin die Rechnung des Arztes zunächst selbst übernehmen, kann aber je nach Fall bei ihrer Krankenkasse einen gewissen Betrag zurückverlangen. Diese Beträge sind in der oben bereits erwähnten Mittel- und Gegenständeliste MiGeL festgehalten. Diese Liste umfasst neben Myopie- Produkten auch Speziallinsen für beispielsweise Keratokonusfälle.

"Weg ist frei für weitere Innovationen"

Der studierte Optometrist (M.Sc.) Michael Wyss, der seit 2016 als Mitglied der Geschäftsleitung sowie des Verwaltungsrats für das Berner Augenoptikunternehmen Eyeness arbeitet, freut sich über den Beschluss. „Grundsätzlich ist die Aufnahme des Myopie-Managements mit allen evidenzbasierten, optischen Methoden in der Mittel- und Gegenständeliste MiGeL zu begrüßen“, sagt der 49-Jährige. „Damit kann den Patientinnen und Patienten die jeweils optimale Methode – ohne Kostendruck – empfohlen werden. Ein riesiger Vorteil der MiGel-Listung ist, dass es sich hierbei um eine anteilige Rückvergütung der Versicherung an die Patienten handelt. Damit wird kein fixer Tarif für eine Behandlung diktiert, was den Weg für weitere Innovationen in diesem so wichtigen Gebiet freimacht.“

Wie in vielen europäischen Ländern ist auch in der Schweiz die Nachfrage nach Kontaktlinsen größer als in Deutschland. So geht aus einer Bevölkerungsbefragung aus dem Jahr 2021 (GfK Switzerland AG) hervor, dass 22,2 Prozent der 16- bis 74-jährigen Schweizer regelmäßig eine Brille und Kontaktlinsen tragen und weitere 2,7 Prozent ausschließlich Kontaktlinsen verwenden. Somit trägt rund ein Viertel der Schweizer Bevölkerung zumindest abwechselnd zur Brille regelmäßig Kontaktlinsen. Dies merkt Wyss auch beim Myopie-Management, nicht zuletzt, weil die Eyeness AG als ehemaliges Kontaktlinseninstitut und Optometriefachgeschäft einen klaren Fokus auf die Linse verfolgt. „Brillengläser machen bei Eyeness nur einen kleinen Teil aus“, sagt Wyss. Und das, obwohl die Augenärzte in der Schweiz viel häufiger Empfehlungen für Brillen statt für Kontaktlinsen aussprechen würden.

Michael Wyss Portrait

Michael Wyss ist studierter Optometrist und Kontaktlinsenspezialist. Letzteren Titel wird er vielleicht bald ändern müssen, denn die Schweiz soll 2026 einen eigenen Studiengang nur für Kontaktlinsen bekommen.

© Eyeness AG

Bessere Versorgung

Mit der neuen Verordnung könnten in Zukunft noch mehr Myopie-Gläser an Kinder verschrieben werden, glaubt Wyss. Dies sei zum einen eine positive Entwicklung für die Eltern und deren Geldbeutel. Zum anderen werde sich die Regelung aus seiner Sicht auch positiv auf die Zusammenarbeit zwischen Augenärzten und Optometristen auswirken.

Denn in ebendieser Zusammenarbeit zwischen Augenärzten und Optometristen sieht Wyss noch Luft nach oben. So sei der Austausch zwischen den Optometristen von Eyeness und einem Drittel der Augenärzte in Bern zwar sehr gut. Man stünde in Kontakt miteinander und vermittle auch Kunden aneinander. Ein weiteres Drittel aber wisse nichts von der Arbeit der Optometristen und das letzte Drittel stünde gar auf Kriegsfuß mit Wyss und seinem Team. Dieser Teil der Augenärzte sehe die Optometristen als reine Konkurrenz. „Dabei könnte man sich gegenseitig doch Arbeit abnehmen und die Menschen gemeinsam viel besser versorgen“, sagt Wyss.

Fragen zur Umsetzung häufen sich

Dennoch sei das Myopie-Management in der Schweiz in den vergangenen fünf Jahren deutlich zentraler ins Blickfeld gerückt worden, bemerkt Wyss. So würden fachübergreifend Augenärzte, Kinderärztinnen und Optometristen Eltern vermehrt auf das Thema ansprechen, um möglichst früh mit der Prävention zu beginnen. In der Bevölkerung sei es jedoch noch kein zentrales Thema, wobei Myopie-Management inzwischen zumindest vermehrt in Gesundheitsmagazinen zu finden sei. Durch die neue Regelung rechnet Wyss damit, dass Myopie-Management einen großen Schub an Bekanntheit in der Gesellschaft erfahren wird. „Das Interesse am Thema ist enorm, laut den Verbänden (SBAO, OptikSchweiz, SOG, SAAO; Anm. d. Red.) werden diese zurzeit mit Umsetzungsfragen überhäuft“, erklärt er. Da der Verordnungstext aber doch Raum für Interpretation ließe, arbeiteten die Verbände zurzeit gemeinsam mit dem Schweizer Bundesamt für Gesundheit an entsprechenden Guidelines für die Bevölkerung und die Kassen.

So positiv Wyss die neue Regelung auch bewertet, verschließt er die Augen nicht vor den Risiken: „Meine Bedenken sind, dass sich nun, angelockt durch die Rückerstattung, unprofessionelle Trittbrettfahrer an das Thema Myopie-Management wagen, ohne entsprechende Ausbildung und Infrastruktur.“ Inwieweit diese Bedenken gerechtfertigt seien, werde die Zukunft zeigen. Die Gesellschaft aber könne nur profitieren. So haben bereits große Medienhäuser das Thema aufgenommen und darüber berichtet. Wyss‘ Hoffnung: Hohe Myopien könnten in der Schweiz in nicht allzu ferner Zukunft der Vergangenheit angehören.

Österreich: Zuschüsse unter bestimmten Bedingungen

Und wie sieht es in Österreich aus? Das wollten wir von Harald Belyus Augenoptikermeister, Kontaktlinsenoptiker und Hörakustikmeister sowie Geschäftsführer der Optometrie und Hörakustik Initiative (OHI) wissen. Wie in Deutschland werden auch in Österreich (Myopie-)Hilfen nur unter bestimmten Voraussetzungen von den Sozialversicherungen bezuschusst. Während aber in Deutschland die Zuschüsse je nach Kasse und Zusatzversicherung sehr stark variieren, sieht es in Österreich einheitlicher aus. In der Alpenrepublik gibt es einen Tarif für entsprechende Leistungen über alle Kassen hinweg.

Myopie-Linsen werden übernommen, wenn die Kurzsichtigkeit innerhalb eines Jahres um eine Dioptrie steigt. Die Versorgung erfolgt bei den meisten Versicherungen über einen Kostenvoranschlag. Österreichs größte Krankenversicherung, die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK), hat am 1. Januar 2023 einen neuem Gesamtvertrag mit der österreichischen Bundesinnung der Gesundheitsberufe geschlossen. Dieser Vertrag vereinheitlicht die ÖGK-Kontaktlinsen-Tarife inklusive der Linsen für Myopie-Management bundesweit. In der Vergangenheit kam es bereits bei Silikatbrillengläsern zu einer österreichweiten Harmonisierung. Mit Inkrafttreten des neuen Gesamtvertrags wurden auch die Tarife für Kunststoffgläser, Kontaktlinsen und vergrößernde Sehhilfen vereinheitlicht. Neben dieser Tarifharmonisierung schreibt der neue Gesamtvertrag auch das Recht der Verordnung von Sehhilfen durch Augenoptikermeister, Kontaktlinsenoptikerinnen und Optometristen fest. Damit können diese Sehexperten nun selbstständig Verordnungen für Brillen und Kontaktlinsen ausstellen.

Harald Belyus Portrait

Harald Belyus ist nicht nur Augenoptikermeister und Kontaktlinsenoptiker, sondern auch Geschäftsführer der Optometrie und Hörakustik Initiative (OHI).

© Privat

Keine grundsätzliche Bezuschussung von Myopie-Gläsern

Weitere Krankenkassen, die sich dem neuen Gesamtvertrag durch eine einseitige Erklärung sowie mit Zustimmung der Bundesinnung anschließen können, arbeiten dank der neuen Vereinheitlichung nun mit fixen Tarifen oder Kostenvoranschlägen. „Diese werden in der Regel übernommen“, sagt Belyus. Eine grundsätzliche Bezuschussung von Myopie-Gläsern wie in der Schweiz gibt es jedoch in Österreich derzeit noch nicht. Laut Belyus könnte ein Grund dafür sein, dass das österreichische Gesundheitssystem seine Prioritäten auf andere Gesundheitsbereiche gelegt hat.

„Die österreichischen Sozialversicherungen bezuschussen aktuell die Versorgung mit peripheren Defokus-Kontaktlinsen“, gibt Belyus aber zu bedenken. Dies habe die Bundesinnung der Augenoptiker vor einigen Jahren mit den österreichischen Sozialversicherungen erfolgreich ausgehandelt. Bis zum 15. Lebensjahr übernehmen die österreichischen Sozialversicherungen bei einer Zunahme von einer Dioptrie – oder mehr – pro Jahr sogar 100 Prozent der tariflich ausgehandelten Beträge für Kontaktlinsen und deren Anpassung. Zudem finanzieren die meisten österreichischen Sozialversicherungen eine jährliche Kontrolle der Myopie-Linsen beim Kontaktlinsenoptiker.

Zumindest aber sei man seitens der Bundesinnung in sehr aktiven Gesprächen mit den Sozialversicherungen, um über die Kostenübernahme von weiteren Myopie-Management-Optionen zu sprechen. Ob mit ähnlich erfolgreichem Ausgang wie in der Schweiz, bleibt abzuwarten.


Diese Regeln gelten für die Kostenübernahme

Folgende Rahmenbedingungen müssen erfüllt sein:

  • Progrediente Myopie (nachgewiesen mit entsprechender überdurchschnittlicher axialer Augenlänge, gemäß aktuellen Wachstumstabellen und einer Progression von mindestens 0,50 Dioptrien/Jahr), die zu hoher Myopie (< −5,00 Dioptrien) führen kann oder bereits eine hohe Myopie (< −5,00 Dioptrien) mit weiterer Progression von mindestens 0,50 Dioptrien / Jahr nach sich gezogen hat;
  • Vergütung nur bei Behandlung mit Brillen und Kontaktlinsen, die nachweislich eine Hemmung der Myopie-Progression bewirken: multifokale Kontaktlinsen mit peripherer Zusatzoptik (peripherer Defokus), Orthokeratologie-Linsen oder Brillengläser zur Myopie-Kontrolle auf Basis eines multifokalen- oder peripheren Defokus-Prinzips;
  • Verordnung nur durch Fachärzte und Fachärztinnen für Ophthalmologie mittels Verordnungsformular mit mindestens Angaben zur axialen Augenlänge, Nachweis der Progression und bestehendem Myopie-Grad