Sechs Jahre, um das Projekt auf eigene Füße zu stellen

Entwicklungshilfe: Augenoptische Berufsschule in Uganda

Ausbildung fördern – Hilfe zur Selbsthilfe leisten – nachhaltige Veränderung schaffen. Das sind Schlagworte, die im Zusammenhang mit Entwicklungshilfe in vieler Munde sind. Nicht immer gelingt es, dieses Vorhaben so umzusetzen, wie es ein engagiertes Team um Martina Sappelt geschafft hat: In einem Entwicklungshilfeprojekt, das seinesgleichen sucht, etabliert die Augenoptikermeisterin und Optometristin eine Berufsschule für Augenoptik in Uganda nach deutschem dualen Vorbild mit der Vision, vor Ort Menschen zu Augenoptikern auszubilden.
Martina Sappelt beim Unterricht mit den ersten ugandischen Absolventen

Martina Sappelt beim Unterricht mit den ersten ugandischen Absolventen

© privat

Erstveröffentlicht in der DOZ 02I24

Der Startschuss fiel im Januar 2016: Zum Jahrestreffen des Entwicklungsdienstes Deutscher Augenoptiker EDA erschien Christel Henecka, Vorsitzende des Vereins Projekthilfe Uganda, der schon seit Mitte der 1980er in Kyamulibwa aktiv ist. Sie fragte an, ob man  bereit wäre, eine duale Ausbildung zum Augenoptiker in Uganda einzuführen. Das Land mit seinen relativ stabilen politischen Verhältnissen eigne sich hervorragend für dieses Projekt, da es gerade eine große Ausbildungsoffensive gestartet habe. Die Herausforderung wurde angenommen und im Juni 2016 starteten erste Gespräche mit ugandischen Verantwortlichen und dem EDA-Vorsitzenden Reinhard Müller. 2017 erteilten die ugandischen Behörden die Genehmigung, so dass in beiden Ländern die Vorbereitungen anlaufen konnten: der Bau eines Augenoptikgeschäfts in Kyamulibwa sowie das Packen von Containern, das Erstellen von Unterrichtsmaterial und die Suche nach Lehrkräften in Deutschland.

Denn beim Geschäftsbetrieb, wie es bislang der „EDA-Klassiker“ gewesen ist, sollte es nicht bleiben, sondern diesmal die Ausbildung von Ausbildern vorangebracht werden. Im Herbst 2019 konnte bereits die Ausbildung von acht jungen Uganderinnen und Ugandern beginnen. Es war nicht einfach, die Gruppe zusammenzustellen, da die Ausbildung noch nicht existierte und die Interessenten somit nicht auf Erfahrungen anderer zurückgreifen konnten. Die meisten Teilnehmenden stammten direkt aus Kyamulibwa und qualifizierten sich durch einen Eignungstest. Unterrichtet wurden sie angelehnt an den deutschen Rahmenplan von wechselnden deutschen Lehrkräften. Eine davon war EDA-Mitglied Regina Rothfuss, die heute immer noch als Ansprechpartnerin für deutsche Freiwillige zur Verfügung steht.

Handwerk ohne Schleifautomat und Autorefraktometer

Martina Sappelt (56), staatlich anerkannte Diplom Sozialpädagogin/-arbeiterin, Augenoptikermeisterin und Optometristin (HwK), war fast vom ersten Moment an dabei. Das Augenoptikgeschäft in Kyamulibwa, bestehend aus Verkaufsraum, Refraktionsraum und Werkstatt, die auch groß genug ist, um dort den Theorieunterricht abzuhalten, wurde im Oktober 2019 ihre neue Wirkungsstätte. In der Werkstatt befinden sich drei Okular-Scheitelbrechwertmessgeräte, vier Handschleifsteine, eine Ventilette, einmal „RapidGlasses“ (ein vom EDA-Vorsitzenden entwickeltes Frässystem), ein Rillgerät, eine Refraktionseinheit mit Projektor und Messbrille sowie eine Spaltlampe. Die 56-Jährige arbeitet zwar gern handwerklich, allerdings wären ein Schleifautomat und ein Autorefraktometer „doch mein Traum“.

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Das neu erlernte Wissen soll möglichst schnell angewendet werden – zur Ausbildung gehören auch regelmäßige Ausflüge in ländliche Gebiete, bei denen die dortige Bevölkerung augenoptisch versorgt wird.

Die Entsendung ehrenamtlicher Augenoptiker, die Trainees in Theorie und Praxis schulen, ist eine Kernaufgabe des EDA. Unterrichtsinhalte und Schwerpunkte unterscheiden sich je nach Eignung der Lehrenden und Länge ihres jeweiligen Einsatzes. Martina Sappelt war jedoch schon nach kürzester Zeit klar, dass erstens die Länge der Ausbildung von zunächst durch die zuständigen Behörden auf sechs Monate genehmigte Zeit auf zwei Jahre ausgedehnt werden müsste. Und zweitens, dass das Prinzip der wechselnden Ausbilder auf Dauer nicht funktionieren würde. „Ein erfolgreiches Ausbilden und Unterrichten ist meines Erachtens nur möglich, wenn ein intensives Kennenlernen zwischen Schüler und Ausbilder stattfinden kann. Dieses ist bei Kurzeinsätzen oft schwierig und fordert Schüler und Lehrer gleichermaßen“, sagt die Ausbilderin, die zuvor noch keinen Einsatz in der Entwicklungshilfe absolviert hatte.

Trainees ziehen trotz Corona durch

Für die Ausbilder kam die Schwierigkeit hinzu, sich auf einem anderen Kontinent in einer völlig anderen Kultur und Klimazone zu bewegen. Auch der Arbeitsplatz entsprach nicht unbedingt dem deutschen Standard. „Da ich die vergangenen zehn Jahre in einer großen Bildungsstätte unter anderem überbetriebliche Umschulungsgruppen in Theorie und Praxis ausgebildet habe, verfügte ich über die notwendige Erfahrung, dieses zu beurteilen. Um es kurzzufassen, hatte ich schon bei meinem ersten Aufenthalt den Gedanken, für mehrere Jahre in dieses Projekt nach Uganda zu gehen“, ergänzt Sappelt, um so neben den wechselnden Lehrkräften dauerhafte Ansprechpartnerin vor Ort zu sein.

Doch nicht alles war wie geplant möglich, da es aufgrund der Corona-Pandemie zu Einschränkungen im Ausbildungsablauf kam. Ab April 2020 waren keine Präsenzlehrgänge mehr möglich, weshalb Martina Sappelt und Reinhard Müller vom EDA ein intensives E-Learning aufbauten. Zumindest die theoretische Wissensvermittlung konnte so weiterhin sichergestellt werden. Kein einziger der Trainees brach in dieser schweren Zeit ab. Und dranzubleiben lohnte sich, da der Bedarf an augenoptischen Versorgungen im Land hoch ist. Die Augenoptikermeisterin erläutert: „Augenoptiker existieren zwar, unterliegen aber keinerlei einheitlichem Standard oder gar einer Kontrolle. Unsere größte Sorge, dass die Optometristen uns als Konkurrenz und nicht wie gehofft als Ergänzung sehen, ist nach wie vor relevant. Aus diesem Grund muss immer wieder die Abgrenzung zum Optometristen oder Ophthalmologen intensiv kenntlich gemacht werden.“

Dies mag nach deutschen Standards erstaunen, wo es doch lautMartina Sappelt Stand 2019, zum Projektstart, erst zehn Optometristen landesweit gab. Inzwischen schätzt Sappelt deren Anzahl auf zwanzig.

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Man trägt weiß: Martina Sappelt mit ihren Zöglingen vor dem „Optician Center“ in Kyamulibwa, das für das Projekt neu errichtet wurde.

Ziel des Projekts: Eine weniger kostspielige Versorgung etablieren

Augenärzte und Optometristen haben in der Regel auch Geschäfte mit angelerntem bzw. eingewiesenem Personal. In den großen Städten Ugandas findet man Optiker, die jedoch sehr kostspielige Brillen anbieten, die mit rund 100 Euro pro Einstärkenbrille einem monatlichen Durchschnittsgehalt entsprechen und somit einem Vermögen gleichen. „In den ländlichen Gebieten, wo die medizinische Versorgung sehr gering ist, gibt es keine Optiker. Die WHO hat hierzu regelmäßige Erhebungen erstellt, die diese Problematik bestätigen. Daher ist es auch ein Ziel unseres Projekts, diese Lücke mit einer Versorgung durch unsere Augenoptiker zu schließen, da diese sich auf die Versorgung mit Brillen beschränken und somit mit einem kostengünstigeren Equipment auskommen als die Optometristen vor Ort. Und deshalb muss Refraktion Bestandteil unserer Ausbildung sein.“ Auch während der Ausbildung werden Fahrten in ländliche Gebiete unternommen und kostengünstige Brillen angepasst.

Sappelts Entschlossenheit und Zielstrebigkeit, das Projekt umzusetzen, half sicher beim Bewältigen der anstehenden Herausforderungen. Eine stellte sich bei der Beantragung des ugandischen „Work Permit“, die verlangte, dass Sappelt Mitglied der Society of Opticians werden sollte – die es allerdings gar nicht gab. „Stattdessen sollte ich dann Mitglied in der Society of Optometrists werden. Ich stellte und bezahlte den Antrag, was für die Erteilung einer dreijährigen Arbeitserlaubnis ausreichte. Nach neun Monaten erhielt ich aber die Information, dass ich das falsche Zertifikat beantragt hätte.“ Somit musste sie eine Neubeantragung einleiten, was in Uganda mit viel Geduld verbunden ist. „Monate später wurde mir kurzfristig mitgeteilt, dass ich die Reise nach Kampala anzutreten habe für ein, wie sich am Ende herausstellte, zweieinhalbstündiges schriftliches Assessment im Bereich Optometrie. Ich war erleichtert, als ich es bestanden hatte.“ Eine weitere, Monate später kurzfristig anberaumte Prüfung wurde am Vorabend grundlos abgesagt und bis heute nicht durchgeführt. Auch in der Bürokratie Ugandas wiehert also fröhlich der Amtsschimmel, was bei Sappelt gelegentlich zur Frage führt „Was mache ich hier eigentlich?“. Gründe für die Zweifel waren nach ihrer Aussage meist kulturelle Unterschiede, Umgang mit Problemen, aber auch Differenzen in Lebensansichten und im Charakter des Gegenübers. Sappelt blieb letztlich standhaft: „Da sich solche Schwierigkeiten natürlich auch in Deutschland finden, kam Aufgeben in dieser Situation für mich nicht in Frage.“

(Finanzielle) Absicherung größte Herausforderung

Die größte Herausforderung war für die Ausbilderin jedoch die Umsetzung des Wunsches, für mehrere Jahre in das Projekt nach Uganda zu gehen. „Da ich noch voll im Berufsleben stehe, musste ich eine Lösung finden, mit der ich während meines Aufenthalts finanziell und im System der Sozialversicherungen abgesichert bin.“ Gelöst wurde dies vor allem durch Christel Heneckas Engagement, die eine Stelle für Martina Sappelt schuf. „Ich bin jetzt offiziell als Entwicklungshelferin tätig und unterliege dem Entwicklungshelfergesetz. Meine Entsendeorganisation heißt Agiamondo mit Sitz in Köln. Der Hauptanteil meines finanziellen Bedarfs inklusive der Sozialversicherung wird von der Katholischen Zentralstelle für Entwicklung und ein Eigenanteil von der Projekthilfe Uganda e. V. als Auftraggeber aufgebracht. Dieser Eigenanteil wird jedoch noch von der Firma Zeiss und dem Verein ‚Wir helfen sehen e. V.‘ gesponsert.“

Neben der finanziellen Komponente ist es ihr mindestens genauso wichtig, die Unterstützung ihrer Familie zu haben. „Meine beiden erwachsenen Töchter wissen schon von klein auf, dass es immer mein Wunsch war, Entwicklungshilfe zu leisten und für mehrere Jahre ins Ausland zu gehen. Daher hatte ich ihre volle Unterstützung in dieser Hinsicht.“ Mit diesem Wissen wird Sappelt ihren Einsatz um drei Jahre verlängern. Sie möchte die ersten drei Absolventen des gesamten Programms, die voraussichtlich ab September diesen Jahres mit dem Unterrichten und Ausbilden beginnen können, während ihres ersten kompletten Durchlaufs der Ausbildung fachlich, aber auch moralisch begleiten. „Nach Ablauf meiner geplanten Verlängerung ist das Maximum bei einem möglichen Entwicklungshelfereinsatz, nämlich sechs Jahre, erreicht. Die Idee dahinter ist, dass dann das Projekt auf eigenen Füßen stehen muss.“

„Freiwillige sollen das unterrichten, was ihnen Spaß macht“

EDA-entsandte Augenoptiker sind trotz Sappelts Präsenz noch immer erwünscht. „In den vergangenen zwei Jahren hatte ich immer wieder Unterstützung durch Kurzzeiteinsätze von interessierten Augenoptikern, Optometristinnen und Studierenden. Dadurch konnten diese Erfahrungen im Ausbilden und in der Entwicklungsarbeit sammeln, und ich hatte etwas mehr Zeit zur Verfügung, um die Verhandlungen mit den diversen Ministerien vorzubereiten und durchzuführen. Weitere Freiwillige sind willkommen, wobei ein geplanter Aufenthalt nicht unter drei Monaten sein sollte. Man sollte auf jeden Fall Geduld, gute Nerven, Empathie mitbringen und auf einem aktuellen Stand in der Augenoptik sein“, beschreibt die Verantwortliche die Eignungsvoraussetzungen einer freiwilligen Lehrkraft. „Die Freiwilligen unterrichten in Absprache mit mir, wobei ich immer die Meinung vertrete, dass sie als Ehrenamtliche im Rahmen des Lehrplans unterrichten sollten, was ihnen selbst Spaß macht. Den Rest übernehme ich.“

Parallel dazu managt Sappelt auch fast alle weiteren Aufgaben vor Ort. Nachdem inzwischen die neuen Auszubildenden aus ganz Uganda anreisen, ist es notwendig geworden, im kleinen Ort Kyamulibwa Unterkünfte für sie zu schaffen. Auch die Unterrichtsräume für die nun parallel stattfindenden Kurse waren zu klein geworden, sodass der Bau einer neuen Schule notwendig ist. Sappelt entwickelte mit einem ugandischen Architekten die Pläne und reichte die Unterlagen mit der Projekthilfe Uganda beim Entwicklungshilfeministerium BMZ ein. Viel Zeit und Energie kostet es, die deutschen Rahmenlehrpläne an die ugandische Ausbildung anzupassen und diese, wie auch die von Sappelt erstellten Prüfungen, beim Bildungsministerium einzureichen. Ziel ist es, die Ausbildung vollständig im ugandischen System zu verankern, was in großen Teilen schon gelungen ist. Die vom Ministerium gestellten Anforderungen änderten sich hierbei oftmals und notwendige Informationen erreichen sie oft nur nach mehrmaligem Nachfragen. Insofern wird auch die kommende Zeit bis September 2027 ereignisreich und gefühlt schnell vorübergehen.

Claudia Büdel

Autorin: Claudia Büdel

ist Augenoptikermeisterin, staatlich geprüfte Augenoptikerin und Optometristin (HWK). Sie arbeitete bereits in verschiedenen Fachgeschäften im Bereich Kontaktlinse und Optometrie, war im Bereich Education and Development für einen Kontaktlinsenhersteller tätig und ist aktuell in einer Augenklinik mit Studienzentrale beschäftigt.