Jedes Zipfelchen hat seine Besonderheiten
Erstveröffentlichung in der DOZ 02|2023
Was macht der nördlichste Augenoptiker Deutschlands anders als der südlichste? Und wie unterscheidet sich das Arbeiten am westlichsten Punkt von dem am östlichen Rand der Bundesrepublik? Dieser Frage wollte die DOZ einmal nachgehen und wandte sich dafür an die Inhaberinnen und Inhaber der Fachgeschäfte an den jeweiligen Orten. Die an den Außengrenzen Deutschlands ansässigen Augenoptikerinnen ausfindig zu machen, erwies sich durch den sogenannten „Zipfelbund“ als nicht sonderlich kompliziert. Ins Leben gerufen wurde der Zipfelbund zum Tag der Deutschen Einheit 1999 in Wiesbaden und dabei sogleich mit einem Zipfelpakt besiegelt. Er vereinigt die vier Zipfelgemeinden Deutschlands, die sich an den Extrempunkten beziehungsweise Außengrenzen befinden. Diese vier Gemeinden sind Selfkant im Westen, Görlitz im Osten, List im Norden und schließlich Oberstdorf im Süden.
Wer die Gemeinden bereist, kann sich dies im Zipfelpass abstempeln lassen. Bringt man es auf vier Stempel, wird dies durch regionale Geschenke und eigene Produkte prämiert, unter anderem auch eine Wurst mit vier Zipfeln. Eine Brille mit vier Gläsern gehört bislang allerdings, wen wundert‘s, nicht dazu.
Die Mitte Deutschlands zu definieren, ist im Übrigen bei weitem schwieriger. Sie liegt im Grenzbereich von Thüringen und Niedersachsen, allerdings kommen je nach Messmethode fünf unterschiedliche Dörfer auf einer Fläche von etwa 1.300 Quadratkilometern in Frage. Aus diesem Grund beanspruchen Niederdorla, Flinsberg, Silberhausen, Landstreit und Krebeck für sich, der Mittelpunkt Deutschlands zu sein.
Doch wenden wir uns nun den klar definierten „Zipfeln“ Deutschlands zu und beginnen mit der horizontalen Achse durch die Republik, dem westlichsten und östlichsten Punkt. Anschließend stellen sich die (Urlaubs-)Regionen in der Nord-Süd-Achse vor.
Optik Höhne im Selfkant ist der westlichste Augenoptiker Deutschlands. In Grenznähe sind es, neben den deutschen Kundinnen, vor allem Niederländer und Belgier, die das Fachgeschäft aufsuchen.
Der westlichste Punkt
Der Selfkant ist die westlichste Gemeinde Deutschlands und hat rund 10.000 Einwohner. Drei von fünf Nachbargemeinden sind niederländisch und die Gemeindegrenze zu den Niederlanden ist rund 27 Kilometer lang, wohingegen die Grenzlinie zu den deutschen Gemeinden nur sechs Kilometer beträgt. Westlich gelegen ist die Maas, der Grenzfluss zwischen den Niederlanden und Belgien. Die Gegend ist ländlich geprägt und einige Naturschutzgebiete bereichern den Selfkant. Die nächsten größeren Städte sind Aachen und Maastricht, die rund 30 Kilometer entfernt liegen. Im Ortsteil Tüddern, nur fünf Kilometer vom westlichsten Punkt entfernt, ist seit September 2016 „Optik Höhne“ zu finden. Geschäftsinhaber und Augenoptikermeister Martin Höhne berichtet von den Besonderheiten am westlichsten Zipfel.
Das bayerisch-hessische Pendeln ist man in der Mitte Deutschlands gewöhnt. Bei Ihnen, wo die überwiegende Anzahl Nachbargemeinden schon niederländisch ist: In welche Richtung wird denn mehr gependelt?
Hier gibt es nicht eine Hauptpendelrichtung. Es gibt viele Deutsche, die in den Niederlanden oder Belgien arbeiten, und umgekehrt. Die Niederländer und Belgier kommen gerne zum Einkaufen, da der Sprit in Deutschland zum Großteil günstiger ist, wie auch viele andere Produkte des täglichen Bedarfs. Die Deutschen fahren über die Grenze, weil zum Beispiel der Kaffee in unseren Nachbarländern günstiger ist. Es ist ein schönes hin und her.
Ergeben sich besondere Herausforderungen durch ihre regionale Lage und wie ist das Verhältnis zu den Berufskollegen aus den Niederlanden oder auch Belgien?
Aufgrund der großen räumlichen Distanzen gibt es kein ausgeprägtes Miteinander, aber auch kein ausgeprägtes Gegeneinander zwischen den ausländischen Kollegen. Es gibt auch keine Konkurrenz auf deutscher Seite, da es 20 Kilometer bis zum nächsten Mitbewerber sind. Das Besondere am Selfkant ist, dass der Ort wie in Form einer Katze in die Niederlande hineinragt und wir nur 200 Meter von der Grenze entfernt sind. Auch befinden wir uns an der engsten Stelle der Niederlande, zur belgischen Grenze sind es dort nur 4,8 Kilometer.
Daher ergibt sich eine Herausforderung in der Alltagssprache: Die Niederländer aus dem Süden sprechen zwar fast alle deutsch, aber kommen sie aus dem Landesinneren ist die Verständigung „interessanter“. Glücklicherweise spricht meine Mitarbeiterin aber auch niederländisch. Die Belgier wiederum sprechen Französisch, Deutsch und Flämisch.
Welche speziellen Trends gibt es in Ihrer Region, die sich eventuell vom Mainstreamangebot unterscheiden?
Die Niederländer und Belgier mögen es sehr bunt und etwas weniger zurückhaltend. Hinzu kommt, dass die belgischen Kollegen doch um einiges teurer sind als wir in Deutschland. Wir sind dennoch ein kleiner Optiker auf dem Lande, also kommt der Mainstream, im Gegensatz zu den Großstädten Deutschlands, doch etwas zeitverzögert an. Was uns aber nicht davon abhält, die neuesten Brillen vor Ort zu haben.
Gibt es viele Touristen, die den Ort als westlichsten Punkt Deutschlands aufsuchen und welche Rolle spielt der „Zipfelbund“ im Ort? Hatten Sie vielleicht sogar schon Kontakt zu Augenoptikern aus den anderen „Zipfeln“?
Tourismus spielt bei uns eher eine untergeordnete Rolle, wir sind eher die Durchfahrtstrecke zur niederländischen Nordsee. Trotz der Dorflage ergibt sich aus diesem Grund eine gute Infrastruktur. Der „Zipfelbund“ spielt in diesem Zusammenhang leider noch keine große Rolle, auch gab es bisher noch keinen Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen der anderen Zipfelbundgemeinden. Aber unsere Ecke ist sehr beliebt bei Fahrradfahrern, da es hier viele lange und gut ausgebaute Radwege und fast keine Berge oder Hügel gibt.
Von historischer Seite liegen die Dörfer des Selfkants an einer alten Römerstraße mit alten Keltengräbern, die jedoch nie richtig erschlossen wurden. Zudem gehörte der Selfkant nach dem 2. Weltkrieg bis 1963 zu den Niederlanden und wurde erst anschließend wieder an Deutschland zurückgegeben.
Ist froh, heimatnah arbeiten zu können: Annegret Kossin, Niederlassungsleiterin von Fielmann Görlitz, am östlichen Punkt Deutschlands.
Der östlichste Punkt
Rund 760 Kilometer entfernt, an der Lausitzer Neiße gelegen, findet sich Selfkants östliches Pendant Görlitz. Der Fluss trennt die östlichen Stadtteile ab, die seit 1945 zu Polen gehören und die eigenständige polnische Stadt Zgorzelec bilden. Görlitz wird oft als das flächengrößte zusammenhängende Denkmalgebiet Deutschlands bezeichnet, da es von Zerstörungen der Weltkriege verschont blieb und in der historischen Altstadt Bauten der verschiedensten Epochen zu finden sind. Dies macht die Stadt äußerst interessant, auch als Location für Filmdreharbeiten.
In Görlitz mit seinen etwa 55.000 Einwohnern finden sich neben traditionellen Augenoptikern auch eine Fielmann- und Apollo-Filiale. Fielmann verfügt über ein deutschlandweites Filialnetz sowie Niederlassungen in vielen europäischen Ländern, unter anderem auch im Nachbarland Polen. Annegret Kossin, Niederlassungsleiterin von Fielmann Görlitz, kommt aus der Region und ist froh, heimatnah arbeiten zu können.
Im Frankfurter Raum hat man häufig mit internationalem Publikum zu tun und wählt Englisch als gemeinsame Sprache. Wie verhält es sich bei Ihnen in Bezug auf die sprachliche Verständigung mit der Kundschaft auch aus den Nachbarländern?
Das Publikum in Görlitz ist vorwiegend einheimisch. Dazu mischt sich polnische, ukrainische und russische Kundschaft. Die Verständigung erfolgt in erster Linie auf Deutsch. Viele Polen sprechen sehr gut Deutsch oder bringen jemanden mit, der übersetzen kann. Einige meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, mich eingeschlossen, können auf Englisch beraten. Ein Mitarbeiter beherrscht Russisch.
Welche Kundenklientel kommt zu Ihnen und welche regionalen Besonderheiten ergeben sich durch Ihren Standort?
Die Klientel der Kunden ist wie in jeder anderen Niederlassung bunt gemischt – vom Schnäppchenjäger bis zum modebewussten Käufer von Designerbrillen. Zu den regionalen Besonderheiten gehören in jedem Fall die direkte fußläufige Grenzlage, die geringste Kaufkraft bundesweit und die höchste Arbeitslosenquote landesweit.
Die Filiale sitzt in der geschichtsträchtigen historischen Altstadt. Wie hat sich Ihr Geschäft, aber auch Görlitz, seit dieser Zeit entwickelt?
Am 5. Dezember 1991 hat Fielmann in Görlitz auf der Berliner Straße sein Fachgeschäft eröffnet, am 1. Juni 2006 folgte ein zweites größeres Eckfachgeschäft im Gründerzeitviertel. Acht Jahre gab es auf einer Distanz von 500 Metern also zwei Fachgeschäfte unter meiner Leitung, die ich seit 1998 innehabe. Der Standort auf der Berliner Straße wurde im November 2014 jedoch geschlossen.
In den letzten 25 Jahren wurde die Altstadt von Görlitz wunderschön restauriert und ist ein touristisches Highlight. Görlitz ist die einzige Stadt der Welt, in der die letzten fünf Bauepochen in Originalsubstanz erhalten sind. Auch wurden schon zahlreiche Hollywood-Filme hier gedreht, aber auch für deutsche Produktionen nutzen Görlitz gerne als Location. Des Weiteren kommen die bekannten Liebesperlen aus Görlitz.
Punktet mit dem „Sylt-Sofort-Service“: Peter Woysch, Inhaber von Optik Woysch in Westerland.
Der nördlichste Punkt
Die nördlichste Gemeinde Deutschlands ist das Seebad List auf Sylt mit etwa 1.550 Einwohnern. List ist der nördlichste Punkt des geschlossenen deutschen Sprachraums in Mitteleuropa. Der nördlichste Punkt des deutschen Festlands ist übrigens Rodenäs, eine Gemeinde in Schleswig-Holstein.
Da es jedoch in List im Gegensatz zu den anderen „Zipfeln“ Deutschlands keinen Augenoptiker gibt, wenden wir den Blick etwa 16 Kilometer südlich nach Westerland. Westerland ist mit rund 9.000 Einwohnern nach St. Peter-Ording der zweitwichtigste touristische Ort in Schleswig-Holstein. Hier ist neben einem weiteren traditionellen Augenoptiker und zwei Filialisten Optik Woysch seit 1969 angesiedelt. Die Anschrift „Strandstraße“ ist hier Programm, denn bis zur Promenade sind es nur rund 100 Meter. Augenoptikermeister Peter Woysch führt das älteste Geschäft im viel besungenen Westerland und stand für die DOZ Rede und Antwort.
Ich möchte, relativ in der Mitte Deutschlands lebend, nun auf Sylt anheuern. Was muss ich über die Insulaner wissen?
Die Insulaner sind sehr offene Menschen. Man wird auch als Tourist oder Besucher sehr herzlich aufgenommen. Die eigentlichen Insulaner machen nur noch etwa 50 Prozent der Sylter Bevölkerung aus, es gibt also keine große Gruppe Einheimischer mehr. Wichtig zu wissen: Das Wetter kann sich hier stündlich ändern.
Wie wirkt sich das auf den Kundenstamm aus?
Wir haben einen hohen Stand an einheimischen Stammkunden und viele Zweitwohnungsbesitzer, die fast schon zu den Einheimischen gezählt werden. Die Touristen kommen häufig mit Reparaturen, dem Wunsch nach einer neuen Sonnenbrille oder nach Ersatz für die von der Welle erfassten Brillen zu uns.
Leiden auch Sie unter dem Fachkräftemangel oder hilft die Attraktivität des Standorts Sylt?
Der Standort Sylt ist wirklich sehr attraktiv, trotzdem herrscht hier wie in der ganzen Branche Fachkräftemangel. Wir haben eine Zeitlang mit Springern gearbeitet, die uns etwa sechs Monate in der Sommersaison ab Mai unterstützt haben. Das machen wir inzwischen aber nicht mehr, da eigentlich das ganze Jahr gut zu tun ist und diejenigen auch erst eingearbeitet werden mussten. Im Moment sind wir gut aufgestellt.
Ist auf Ortsansässige ebenso eingestellt wie auf Touristen, die ihre Brille beim Einkehrschwung liegengelassen haben: Juliane Gräßner, Inhaberin der „Brillen Meile“ in Fischen in der Gemeinde Oberstdorf.
Der südlichste Punkt
Rund 1.100 Kilometer südlicher gelegen findet sich Oberstdorf als südlichste Gemeinde Deutschlands. Sie liegt im Oberstdorfer Becken im Illertal, in den Allgäuer Alpen. Gerade mal neun Kilometer von diesem südlichsten Punkt Deutschlands entfernt, hat Juliane Gräßner, Augenoptikermeisterin, staatlich geprüfte Augenoptikerin und Optometristin, ihr Geschäft „Die Brillen Meile“ in Fischen. Eine malerisch bergige Region, die Skifahrer ebenso wie Wanderer und Bergsteiger zu allen Jahreszeiten anzieht.
Was erwartet mich, wenn ich mich unter die „echten Bayern“ begebe?
Hierzu kann ich nur die Allgäuer beschreiben, Bayern ist ja weitläufig und jede Region hat ihre eigenen Typen. Die Allgäuer sind freundlich, aber misstrauisch, manch einer ist auch etwas mürrisch, aber wenn man sich nicht abschrecken lässt und dran bleibt, hat man freundliche, hilfsbereite, lustige Menschen um sich herum.
Zieht die malerische Berglandschaft Kundinnen und Kunden an oder haben Sie mit den klassischen Herausforderungen im ländlichen Raum zu kämpfen?
Jeder traditionelle Augenoptiker, auf dem Land oder in der Stadt, hat mit Herausforderungen wie Filialbetrieben oder Online-Shops zu tun. Hier auf dem Dorf sind die Einwohner aber glücklich, dass es in ihrer Nähe einen Augenoptiker gibt und sie nicht weit fahren müssen, sondern zu Fuß uns kommen können.
Gibt es Marken oder Produkte die bei Ihnen vergleichsweise besonders gefragt sind, etwa Skibrillen für Touristen?
Viele glauben, das Allgäu biete im Sportbereich nur das Skifahren im Winter, dabei haben wir so viel mehr. Zum Beispiele das Wandern im Sommer durch unsere herrliche Landschaft – wobei manch ein Wanderer seine Sonnenbrille beim Einkehrschwung in unseren Alpwirtschaften liegen lässt oder bei einer Brotzeitpause von einem Allgäuer Braunvieh angestupst und die Brille beim Sturz total verstellt wird. Dann bin ich gefragt, beim Wiedereinstellen oder sogar beim Neukauf. Beim Wildwasser-Rafting auf der Iller kann die Brille in hohem Bogen vom Kopf fliegen, es sei denn man hat spezielle, schwimmende Brillenbänder. Auch das Gleitschirmfliegen liegt bei uns im Süden im Trend, auch hier bieten wir Sonnenbrillen für diese Sportart. Im Winter werden bei uns weniger Skibrillen (diese werden meist beim Sporthändler bezogen), sondern Gletscherbrillen für Skitourengeher gekauft.
Profitieren Sie von der Nähe zu Österreich, Liechtenstein und der Schweiz?
Österreichische Kunden haben wir nur vereinzelt aus dem Walsertal, Schweizer ab und zu, dies hat sich jedoch in den letzten Jahren, auch vor Corona schon, immer weiter reduziert.