Michael Walter kam eher unverhofft zum Doppelmeister
Michael Walter mit zwei seiner Akustikerinnen: Gesellin Sabrina Landeck (links) und Meisterin Alexandra Dries sind zwei der vier Angestellten, die die Hörakustik managen.
Erstveröffentlicht in der DOZ 09I23
Manchmal ist es vielleicht gar nicht so schlecht, wenn man vor wichtigen Entscheidungen im Leben nicht allzu viel Zeit zum Nachdenken hat und stattdessen auf sein Bauchgefühl setzt. Michael Walter stand im Sommer 2004 kurz vor der Prüfung zum Augenoptikermeister an der Höheren Fachschule für Augenoptik in Köln, als ihm sein Sitznachbar im Kurs eröffnete, er wolle im Anschluss auch noch seinen Hörakustikmeister aufsetzen. Auf die Einladung „Hast du Michael Walter kam eher unverhofft zum Doppelmeister Ein motivierender Mitschüler und eine kooperative Kaffeemaschine nicht Lust, mitzumachen?“ antwortete Walter spontan: „Sag Bescheid, wenn Du loslegst – ich bin dabei!“ Und so kam der Augenoptikermeister Michael Walter nach eigenem Bekunden zum Hörakustikmeister „eigentlich wie die Jungfrau zum Kind“.
Als die beiden dann im Frühjahr 2005 tatsächlich gemeinsam an der Audio-Med-Akademie in Braunschweig loslegten, hatte der Sitznachbar allerdings einen entscheidenden Vorteil: Er hatte bereits einen Hörakustik-Gesellenbrief in der Tasche und verfügte damit über solide Grundkenntnisse der Materie. Die Walter nicht besaß. In der Augenoptik hatte er nie Zweifel, die Meisterprüfung zu bestehen: Als Sohn eines Augenoptikermeisters – Walters Vater hatte den Familienbetrieb 1995 in der Würzburger Schustergasse 3 miteröffnet – hatte er das Fachwissen quasi „en passant“ beim Aufwachsen aufgenommen. Doch bei der Hörakustik lag der Fall anders, Walter musste praktisch bei Null beginnen und viel Stoff nachholen. „Dafür musste ich mir etliche Ordner zum Nacharbeiten besorgen“, erzählt der 46-Jährige, „denn die Dozenten nahmen auf Seiteneinsteiger wie mich keine Rücksicht“.
Glücklich über die spontane Entscheidung
Immerhin werden bei der Meisterprüfung der Hörakustik die Teile 3 und 4 der Augenoptik- Prüfung – also Rechnungswesen, rechtliche und steuerliche Grundlagen etc. – angerechnet, so dass sich Walter vollkommen auf die fachliche Theorie und Praxis fokussieren konnte. Trotzdem sei der Blockkurs, der in bis zu dreiwöchigen Unterrichtseinheiten absolviert werden wollte, „knackig und umfangreich“ gewesen, erinnert sich Walter. „Damals war ich familiär noch ungebunden. Ich weiß nicht, ob ich diesen hohen Aufwand heute mit Frau und Kindern vereinbaren könnte.“ Auch der (Wieder-)Einstieg ins Lernen falle umso schwerer, je älter man werde und je länger man aus dem Thema raus sei. „Heute bin ich froh, dass ich mich damals so spontan entschieden habe.“
Der Grat zwischen "funktioniert" und "funktioniert nicht"
Von dieser Entscheidung profitierte darüber hinaus auch der Familienbetrieb im heimatlichen Würzburg. Noch mit dem Theorieteil beschäftigt, lernte Michael Walter an der Hörakustik-Akademie eine Absolventin kennen, die kurz vor dem erfolgreichen Abschluss stand. Man vereinbarte einen veritablen Deal: Walter stellte die Absolventin bei seinem Vater vor, der sie nach einigen Gesprächen nicht nur einstellte, sondern sogar mit dem Aufbau der Hörakustik-Abteilung beauftragte. Die frischgebackene Meisterin versorgte im Gegenzug Walter mit den notwendigen Geräten und Materialien für den anstehenden Praxisteil seines Kurses. Und obendrein mit dem ein oder anderen Tipp oder Trick bei kniffeligen Aufgabenstellungen. Denn eines hatte Walter frelativ schnell begriffen: „Die Hörakustik-Praxis ist ein schmaler Grat zwischen ‚funktioniert‘ und ‚funktioniert nicht‘.
Michael Walter kam „wie die Jungfrau zum Kind“ zur Hörakustik. Bereut hat er den Schritt nie: „Ich habe einen perfekten Job mit all der Abwechslung.“
Stichwort „hintanstellen“: Für die betriebliche Praxis haben die Geschwister Walter eine aus ihrer Sicht ideale Organisationsstruktur geschaffen. Michael ist zu hundert Prozent im Augenoptik-Geschäft tätig und überlässt die Federführung der Hörakustik-Abteilung seinem Team. Abgesehen davon, dass der Spagat zwischen beiden Bereichen aufgrund der ständigen dynamischen Weiterentwicklung schwer sei, hat das noch einen internen Grund: „Die ‚Marke Walter‘ soll für die Kunden sichtbar sein. Wenn ich ständig zu Terminen in der Hörakustik hetzen würde, wäre ich in der Augenoptik auch nicht wirklich präsent.“ Und die Augenoptik ist definitiv der entscheidendere Part, trägt 60 bis 70 Prozent zum Gesamtumsatz bei. Damit dennoch beide Bereiche einen Ansprechpartner haben, hat Diplom-Kauffrau Kathrin Walter – seit 2018 Mitinhaberin als Büro- und Organisationschefin – ihre Räume im Hörakustik-Geschäft. So ist sie nah am Puls, bekommt mit, wie die Stimmung im Team ist und wie zufrieden die Hörakustik-Kunden sind, was ihrem Bruder größtenteils entgeht. Für inhaltliche Fragen oder Entscheidungen steht Michael Walter als fachlich Verantwortlicher natürlich zur Verfügung.
Die räumliche Trennung in verschiedene Geschäfte gibt es bei Walter Optik . Akustik seit 2008. Da zog die Hörakustik, auch wegen der ständig steigenden Nachfrage, in eine freigewordene Arztpraxis im zweiten Stock des gegenüberliegenden Hauses Schustergasse 2. Vorher war sie im hinteren Teil der Augenoptik untergebracht. Weil 70 Prozent der Hörakustik- auch Augenoptikkundinnen bei Walter sind, kam es bis zum Umzug immer wieder vor, dass Silke Riedl – die ja auch Augenoptik-Gesellin ist – mit einem Hör-Kunden nach vorne in den Laden ging und dort eine Brillenberatung durchführte. „Da Brillen jedoch schwieriger zu timen sind, kam ich des Öfteren in zeitlichen Konflikt mit meinem nächsten Hörakustiktermin“, berichtet sie. Mittlerweile ist sie mit dem Hören so ausgebucht, dass sie nur noch in der Hörakustik und im anderen Gebäude ist. Durch die räumliche Trennung sei auch die Zuordnung für die Kundinnen gedanklich einfacher geworden. Wenn doch mal eine fragt, ob man ihr nicht eben mal die Brille richten könne, antworten Riedl & Co. höflich-bestimmt: „Bei den Ohren können wir Ihnen helfen, aber wegen der Brille begleiten wir Sie gerne rüber zu den Kollegen in der Augenoptik.“
Testen unter Realbedingungen
Die Akustikräume unterteilen sich aktuell in zwei Anpasskabinen, in denen die Hörtests durchgeführt werden. Zusätzlich gibt es einen Anpassraum mit Fenster zur Straße, in dem man die zahlreichen Geräusche besser wahrnehmen kann - die Kunden testen ihr Hörgerät sozusagen unter Realbedingungen. Eine eigene Werkstatt mit 3D-Drucker ist ebenso vorhanden. „Während Coro n a war der 3D-Drucker sehr nützlich. Wir hatten keine langen Lieferzeiten und waren nicht auf Lieferketten angewiesen“, erklärt Walter. Für ein Ohrstück benötigt der Drucker gerade einmal zwei Stunden; wenn eine Kundin also einmal ihr Ohrstück verlieren sollte, bekommt sie bei Walter in kürzester Zeit ein neues, zumal alle benötigten Daten abgespeichert sind. Was die Geräte angeht, bietet Walter viele verschiedene Hersteller an, um seinen Kunden eine breite Auswahl zu ermöglichen. Eingehende Tests gehören ebenfalls zur Geschäftspolitik. „Durch die Probiermöglichkeit kauft der Kunde bei den Hörgeräten nie die Katze im Sack“, erläutert er.
Auch wenn er derzeit gleich drei Hörakustikmeister und -meisterinnen beschäftigt und sich damit ruhigen Gewissens aus dem Tagesbetrieb der Akustik größtenteils heraushalten kann, findet Michael Walter rückblickend, dass er damals auf der Schulbank in Köln die richtige Wahl getroffen hat. „Ich – in meiner Situation mit meinem Berufsbild – denke schon, dass ich mit all der Abwechslung einen perfekten Job habe“, bilanziert der entscheidungsfreudige Doppelmeister.
Autoren: Lisa Meinl und Tom Theilig