Was haben wir gelernt? Und sind wir auf die Zukunft vorbereitet?

Ein Jahr Covid-19: Auswirkungen auf die Kontaktlinsenpraxis

Das Jahr 2020, in dem die Corona-Pandemie begann, hat die gesamte Weltgemeinschaft und damit das Leben jedes einzelnen Menschen verändert. Folglich sind die Auswirkungen der Pandemie auch in der augenoptischen Branche zu spüren. Die Autoren Karen Walsh, MCOptom und PGDip, und Lyndon Jones, DSc und FCOptom, ziehen Bilanz.
Kontaktlinsenanpasser und Kundin

Kontaktlinsenanpasser berät eine Kundin

© Oliver Nestola

Für alle Sehspezialistinnen und -spezialisten sollte 2020 ein ganz besonderes Jahr werden. So waren die Zeitschriften im Januar voll von hoffnungsvollen, zukunftsfrohen Artikeln und Wortspielen zum Schnapszahl-Jahr. Niemand konnte erahnen, welche Wende dieses Jahr nehmen und welche Veränderungen es für die gesamte Weltgemeinschaft mit sich bringen würde. Auch für all diejenigen, die Kontaktlinsenträgerinnen und -träger betreuen, hatte die Pandemie Auswirkungen auf ihre tägliche Arbeit. Nun, da dieses beispiellose Jahr endlich vorüber ist, erscheint es uns richtig, innezuhalten und auf die vergangenen zwölf Monate zurückzublicken – ein Fazit nach dieser Reise zu ziehen, auf die sich unser Berufsstand begeben hat, und die gegenwärtige Situation zusammenzufassen. Dieser Artikel wirft einen Blick auf das, was unser Berufsstand im vergangenen Jahr gelernt hat, und hinterfragt, ob wir über ausreichende Kenntnisse verfügen, um die kommenden Monate und Jahre erfolgreich zu meistern.

Beginn mit vielen Fragezeichen

In den letzten Tagen des Jahres 2019 erreichten die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erste Berichte über eine „ansteckende Lungenentzündung mit unbekannter Ursache“, die zunächst in Wuhan, China, auftrat. Am 11. März 2020 rief die WHO offiziell eine Pandemie aus und gab der Krankheit den Namen Coronavirus-Krankheit beziehungsweise Covid-19. [1] Sie rief alle Länder dazu auf, die Übertragung der Krankheit in der Bevölkerung „in Reaktion auf die Lage zu erkennen, Ansteckungen nachzuverfolgen, Infizierte zu isolieren und die Bevölkerung zu testen, zu behandeln und zu mobilisieren“. Als die Fallzahlen immer weiter anstiegen, begannen Länder auf der ganzen Welt, regionale und nationale Lockdowns zu verhängen. Nicht systemrelevante Betriebe wurden vorübergehend geschlossen, die Menschen verlagerten ihre Arbeit ins Homeoffice, Schulkinder wurden fortan online unterrichtet und es wurde empfohlen, routinemäßige Termine im Bereich der Augenheilkunde und Sehversorgung auszusetzen. Im Fall von Nordamerika wurden diese Empfehlungen Mitte März ausgesprochen. Die Veränderungen im Alltag der Menschen und Betriebe erfolgten außergewöhnlich schnell.

Augenärztinnen und Augenoptiker sahen sich mit einer völlig neuen Situation konfrontiert, in der sie ihren Patienten und ihren Kundinnen lediglich eine Notversorgung anbieten konnten. Gleichzeitig mussten sie versuchen, die Vielzahl an Informationen und Empfehlungen zu durchdringen, die herausgegeben wurden, um diese Versorgung so sicher wie möglich zu gestalten. Welche Vorsichtsmaßnahmen waren bei der Versorgung von Patientinnen und Patienten erforderlich? Wie hoch war das Risiko, sich bei einem symptomatischen Patienten mit Covid-19 zu infizieren und welcher Anteil der Patientinnen war zwar asymptomatisch, aber dennoch ansteckend? Konnte das Virus – schweres akutes Atemwegssyndrom Coronavirus 2 (Sars-CoV-2) – möglicherweise über die Augen übertragen werden? Die WHO und die US-amerikanischen Behörden der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) generierten Informationen, um Fachleute im Gesundheitswesen bei der Beantwortung dieser Fragen zu unterstützen. Ihnen folgten kurze Zeit später verschiedene Berufsverbände. So rief die American Academy of Opto­metry [2] in den USA beispielsweise den Covid-19-Hub ins Leben und die American Optometric Association publizierte entsprechende Hinweise. [3]

Eine Flut an Informationen

Die Berichterstattung über diese Pandemie in den Sozialen Medien und auf den 24-Stunden-Nachrichtensendern war so umfangreich wie bei keinem anderen Ereignis von weltweitem Ausmaß zuvor. Dabei macht es die Mischung aus hochwertigen, evidenzbasierten Informationen und sensationslüsternen Falschmeldungen Öffentlichkeit und Fachleuten im Gesundheitswesen schwer, an die Fakten zu kommen. Die Geschwindigkeit, mit der Informationen publiziert werden, ist beispiellos. Anfang November waren 71.000 in Peer-Reviews überprüfte wissenschaftliche Publikationen zu Covid-19 verfügbar – das entspricht im Durchschnitt etwas mehr als 200 veröffentlichten Arbeiten pro Tag seit Januar 2020. Davon befassten sich rund 70 Publikationen pro Monat speziell mit dem Thema „Covid-19 und das Auge“, wobei etwas weniger als drei Arbeiten pro Monat ausdrücklich dem Themenfeld „Kontaktlinsen und Covid-19“ gewidmet waren (siehe Tabelle 1). Die Flut an neuen Informationen macht es unglaublich schwer, stets auf dem neuesten Stand zu bleiben, sich die Zeit zu nehmen, um zu überprüfen, welche Arbeiten aussagekräftige und belastbare Daten liefern, und zu erfassen, ob – und wie – die klinische Praxis in der Folge angepasst werden sollte.

Ein frühes Beispiel für die Verbreitung von Fehlinformationen über Social-Media-Kanäle waren Berichte, dass Kontaktlinsenträgerinnen und -träger den Wechsel zur Brille in Betracht ziehen sollten, da diese das Augenumfeld vor einem Kontakt mit dem Virus schütze und die Wahrscheinlichkeit verringere, dass sich die betreffenden Personen selbst ins Gesicht oder in die Augen fassen. Diese Bedenken führten zur Veröffentlichung einer umfassenden Literaturanalyse, um festzustellen, ob entsprechende Belege die Kommentare stützten. [4] Diese kam auf Grundlage der verfügbaren Erkenntnisse zu dem Ergebnis, dass das Tragen von Kontaktlinsen zu keinem erhöhten Risiko führt, an Covid-19 zu erkranken. [4]

Die Studie hob hervor, wie wichtig es ist, dass sich Kontaktlinsennutzerinnen und -nutzer an die empfohlene Praxis für das Tragen von Linsen halten. Dazu gehören gründliches Waschen und Abtrocknen der Hände vor dem Berühren der Linsen oder des Gesichts, der Austausch der Linsen innerhalb des vorgegebenen Zeitraums, die fachgerechte Reinigung von wiederverwendbaren Kontaktlinsen und -behältern sowie das Vermeiden des Kontakts mit Wasser, von ungeplantem Tragen über Nacht und vom Tragen der Linsen im Krankheitsfall. Diese Ergebnisse wurden auf CovidEyeFacts.org zu patientenorientierten Inhalten zusammengefasst und verfügbar gemacht und in den aktualisierten Patienteninformationen der CDC aufgegriffen. [5]

Spaltlampenuntersuchung

Abb. 1.: Beispiel für die derzeitige Anwendung von Schutzmaßnahmen bei der Spaltlampenuntersuchung: Mund-Nasen-Schutz für die Patientin, persönliche Schutzausrüstung für den Seh­spezialisten, Atemschutzschild und eingeschränktes Sprechen

© Contact Lens Spectrum

Covid-19 und das Auge

Es liegt in der Natur der Sache, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Personen, die im Gesundheitswesen tätig sind, im Rahmen einer weltweiten Pandemie mit einer bis dahin völlig unbekannten Situation konfrontiert sind. Eindeutige Antworten auf eine Vielzahl bedeutender Fragen zu finden, kann daher eine große Herausforderung darstellen. Die äußere Lipidhülle von Viren, die Sars-CoV-2 in ihrer Struktur ähneln, reagiert empfindlich auf Tenside, wie sie in herkömmlichen Seifen vorkommen. Daher erfolgte schon früh der noch immer geltende Hinweis auf die Notwendigkeit des regelmäßigen und gründlichen Händewaschens.[6] Auch reagieren derartige Viren empfindlich auf eine Reihe von Desinfektionsmitteln wie beispielsweise Wasserstoffperoxid und Lösungen mit einem Alkoholgehalt von mindestens 70 Prozent. Diese Informationen flossen in die in der klinischen Praxis eingeführten Reinigungsprotokolle ein. [7]

Die Spike-Proteine an der Virusoberfläche weisen eine hohe Affinität zum Angiotensin-konvertierenden Enzym 2 (ACE2) auf. Es wird davon ausgegangen, dass diese Affinität der Übertragungsweg ist, auf dem eine Sars-CoV-2-Infektion ausgelöst wird, da auf diese Weise ein Eindringen des Virus in die Wirtszellen und die anschließende Virusreplikation ermöglicht werden. [8] Es ist bekannt, dass sich ACE2-Rezeptoren im Inneren der Nase, auf der Zunge und auf den Lungenbläschen (Alveolen) [9,10] befinden, was mit der häufigsten Form der Übertragung korreliert. So verbreitet sich das Virus hauptsächlich durch die Mensch-zu-Mensch-Übertragung von Sekrettröpfchen, die freigesetzt werden, wenn eine infizierte Person hustet oder niest. [6,11]

Corona: Infektion über Auge?

Die Aussagen hinsichtlich einer erhöhten ACE2-Expression auf der Oberfläche des Auges sind jedoch nicht eindeutig. So geben einige Quellen an, dass die Augenoberfläche sehr wohl anfällig für eine Infektion mit Sars-CoV-2 ist [12-15], andere Berichte hingegen bestreiten eine Ansteckung mit dem Virus über das Auge. [16,17] Kann das Auge also ein potenzielles Einfallstor für das Coronavirus sein? Wir gewinnen fortlaufend neue Erkenntnisse zu dieser Frage, da sich diverse Reviews [8,18-21], Studien [13,22-29] und Fallberichte [30-36] dem Thema widmen. Über all diese Publikationen hinweg ergibt sich eine durchschnittliche Häufigkeit von drei Prozent für einen Nachweis des Virus auf der Augenoberfläche von Patientinnen und Patienten, die an Covid-19 erkrankt sind. Die durchschnittliche Häufigkeit einer Bindehautentzündung (Konjunktivitis) bei Studien mit bis zu 1.100 Testpersonen liegt dabei bei 2,5 Prozent.

Eine im Vereinigten Königreich durchgeführte Beobachtungsstudie berichtete von einem deutlich niedrigeren Vorkommen von Konjunktivitis bei lediglich 0,34 Prozent von insgesamt 13.680 Covid-19-Patienten. [37] Kann es also sein, dass eine Übertragung über die Augen stattfindet? Systematische Reviews kamen zu dem Schluss, dass „die Datenlage nicht nur sehr dünn ist, sondern auch äußerst widersprüchlich“ [20], und dass das Auge „wahrscheinlich keinen Hauptübertragungsweg darstellt“. [18] Allerdings sind sich alle diese Reviews hinsichtlich ihrer Empfehlungen an die Personen, die an vorderster Front mit Patientinnen und Patienten arbeiten, einig – was vor dem Hintergrund der derzeitigen Unsicherheit nur vernünftig ist. So wird Beschäftigten im Gesundheitswesen, einschließlich Augenheilkunde und Augenoptik, nahegelegt, verschiedene Formen von persönlicher Schutzausrüstung (PSA) zu tragen, insbesondere dann, wenn sie Patienten betreuen, die nachweislich mit Covid-19 infiziert sind. [8,18,19]

Wie sieht die Kontaktlinsenpraxis heute aus?

Die Rückkehr zu einer routinemäßigen augenmedizinischen Versorgung erfolgte in den einzelnen US-Bundesstaaten zu unterschiedlichen Zeitpunkten – in etwa zwei bis drei Monate nach dem Beginn der jeweiligen Lockdown-Maßnahmen. Die weltweit empfohlenen Verhaltensrichtlinien für die breite Öffentlichkeit wurden in die Praxis umgesetzt: Abstand halten, das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes, regelmäßiges Lüften, eine Reduzierung der Anzahl von Personen in Innenräumen und regelmäßiges und sorgfältiges Händewaschen mit Wasser und Seife. [38] Die für eine größtmögliche Sicherheit bei der Versorgung von Personen im Bereich der Augenheilkunde und Augenoptik notwendigen Maßnahmen wurden in unlängst erschienenen Publikationen hervorgehoben. [39-43] Dabei wird dem globalen Ausmaß der Situation insofern Rechnung getragen, als dass verschiedene Organisationen, darunter Euromcontact, die British Contact Lens Association und das Centre for Ocular Research & Education, ihre Leitlinien in bis zu 30 Sprachen zur Verfügung gestellt haben. Die neue Normalität in der Behandlungspraxis sieht vor, dass Patientinnen und Patienten sowie das Personal zunächst auf Symptome oder auf eine Exposition gegenüber Risikofaktoren, wie beispielsweise kürzliche Kontakte mit positiv auf Covid-19 getesteten Personen oder erst kurz zurückliegende Reisen, überprüft werden. Um die Dauer des Kontakts vor Ort zu reduzieren, kann sowohl das Screening hinsichtlich vorhandener Symptome als auch die Anamnese der Patienten bereits im Vorfeld des Termins per Telefon- oder Videokonferenz stattfinden – sofern die Infrastruktur der Praxis darauf ausgelegt ist. [44]

Während des Lockdowns sahen sich viele Sehspezialistinnen erstmals gezwungen, die Möglichkeiten der Telemedizin zu nutzen. Es ist denkbar, dass diese Verfahren auch in Zukunft weiterhin genutzt werden, da nun die ersten Schritte in diese Richtung getätigt und neue Methoden zur Einteilung und Priorisierung von Patientinnen sowie zur Anamnese und Erhebung von Symptomen auf Distanz im Vorfeld des Termins in der Praxis angenommen wurden. Wartezeiten sollten möglichst kurzgehalten und es sollte dafür gesorgt werden, dass die Sitzmöglichkeiten in Wartebereichen – sofern solche genutzt werden – möglichst weit voneinander entfernt stehen und keinerlei Zeitschriften oder Spielzeug für die Wartenden zur Verfügung gestellt werden. Überall dort, wo innerhalb der Praxis oder des Augenoptikgeschäfts längere Gespräche stattfinden können – wie beispielsweise am Empfang oder am Beratungstisch – können durchsichtige Trennscheiben aus Plexiglas angebracht werden. Vor und nach der Behandlung eines jeden Patienten ist eine gründliche Reinigung sämtlicher gemeinsam genutzter Bereiche erforderlich. Das gilt vor allem für berührungsintensive Oberflächen und Geräte, die für alle genutzt werden. Um das Risiko einer Virusübertragung in den Situationen zu verringern, in denen ein engerer Kontakt zu den Patientinnen notwendig ist – wie beispielsweise an der Spaltlampe – wird die Anbringung von Atemschutzschildern sowie das gleichzeitige Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes sowohl durch die Sehspezialistin als auch durch die Patienten empfohlen. Des Weiteren sollte das Sprechen während der Untersuchung möglichst eingeschränkt werden (vgl. Abb. 1). [39]

Schutzausrüstung beim Anpassen

Zusätzlich zum Mund-Nasen-Schutz können Sehspezialisten außerdem auf weitere persönliche Schutzausrüstung zurückgreifen, wie etwa Schutzbrillen oder Gesichtsvisiere. Auch das Tragen von OP-Kitteln oder Einwegschürzen, die nach jeder Behandlung gewechselt werden, ist denkbar. Ist es im Rahmen einer Kontaktlinsenanpassung notwendig, das Auge oder die Okuläre Adnexe zu berühren – zum Beispiel beim Aufsetzen einer Linse auf das Auge eines neuen Kontaktlinsenträgers oder einer neuen Kontaktlinsenträgerin oder beim Umstülpen des oberen Augenlids – kann der Sehspezialist das Tragen von Einweghandschuhen in Betracht ziehen. Allerdings liegt hierzu keine eindeutige Empfehlung vor, gibt es doch keine Beweise dafür, dass die Nutzung von Handschuhen im Vergleich zu sorgfältigem Händewaschen mit Seife und Wasser vor und nach dem Kontakt mit der Patientin zusätzliche Sicherheit bietet. Es wurde darauf hingewiesen, dass Patienten möglicherweise erwarten, dass ihre Sehspezialistin Handschuhe trägt und dass dies (vom Standpunkt des Patienten aus betrachtet) als zusätzliche, sichtbare Bestätigung dafür wahrgenommen wird, dass die Praxis bzw. das Augenoptikgeschäft entsprechende Sicherheitsmaßnahmen umsetzt. [45]

Die zur Desinfektion von wiederverwendbaren Messlinsen notwendigen Schritte unterscheiden sich zwar nicht vom bereits vor der Pandemie üblichen Verfahren, wurden im Laufe des Jahres jedoch erneut hervorgehoben. So müssen Kontaktlinsen aus sämtlichen Materialien für mindestens drei Stunden in eine nicht-neutralisierte Wasserstoffperoxidlösung gelegt werden. Anschließend kommen je nach Linsentyp unterschiedliche Techniken zum Abspülen und Aufbewahren zur Anwendung (siehe Abb. 2). Als die routinemäßige Versorgung im Bereich Kontaktlinsen im Sommer 2020 erneut in Gang kam, wurde in einigen Regionen der Welt die Empfehlung ausgesprochen, möglichst auf die Neuanpassung von Kontaktlinsen zu verzichten. [46] Grund hierfür waren Bedenken, dass der länger andauernde, enge Kontakt, der für die Vermittlung der korrekten Handhabungspraxis von Kontaktlinsen notwendig ist, vermieden werden sollte.

Wichtig: Nachsorgetermin anzubieten

Das Vereinigte Königreich und Ontario (Kanada), die zunächst diesen Standpunkt eingenommen hatten, zogen diese Richtlinien nach weiterer Überprüfung der vorliegenden Daten und der Möglichkeiten, das Auf- und Absetzen von Linsen auch ohne direkten Kontakt mit den Nutzerinnen zu üben, wieder zurück. [47] Um die Kontaktzeiten vor Ort zu minimieren, ist es möglich, Patienten Videoanleitungen und Informationen zur Handhabung und Pflege von Kontaktlinsen entweder bereits im Vorfeld ihres Termins nach Hause zukommen zu lassen, oder ihnen zur Vermittlung der entsprechenden Informationen vor Ort ein Tablet auszuhändigen. So kann das Personal stets den notwendigen Sicherheitsabstand einhalten, sofern keine zusätzliche Unterstützung nötig sein sollte.

Wichtig ist, neuen Nutzerinnen nach der Anpassung einen Nachsorgetermin anzubieten, um eventuell auftretende Fragen und Probleme zu adressieren, die ansonsten zu einem Abbruch der Kontaktlinsennutzung führen könnten. [48] Bei den meisten einfachen Anpassungen kann dieser auch ohne weiteren Besuch in der Praxis oder im Augenoptikgeschäft via Telefon- oder Videoanruf abgehalten werden. Auch in Praxen und Augenoptikgeschäften, in denen Spezialanpassungen durchgeführt werden, bieten sich Möglichkeiten, die Kontaktzeit mit den Patienten vor Ort zu reduzieren. So kann zunehmend auf die Methode der sogenannten empirischen Anpassung zurückgegriffen werden, bei der die Angaben, Refraktion und Topografie der fehlsichtigen Person an den Hersteller geschickt werden. Die auf Basis dieser Daten hergestellte Musterlinse muss selbstverständlich auf dem Auge begutachtet werden, jedoch können Nachsorgetermine – wenn möglich – ebenfalls aus der Ferne durchgeführt werden.

Die Gesamtheit der für die tagtägliche Versorgung von Patientinnen notwendigen Schutzmaßnahmen kann dazu führen, dass Sehspezialisten pro Tag weniger Patienten betreuen können. Es mag daher sein, dass sich Sehspezialistinnen in Hinblick auf die Versorgung mit Kontaktlinsen derzeit vor allem darauf konzentrieren, Routinekontrollen bei bereits bestehenden Linsenträgerinnen durchzuführen, um deren weitere Versorgung mit Linsen zu ermöglichen, und außerdem denjenigen Patienten Priorität einzuräumen, für die das Tragen von Kontaktlinsen von essenzieller Bedeutung ist – beispielsweise Patientinnen mit Keratokonus oder einer besonders ausgeprägten Sehschwäche. Angesichts der eingeschränkten Anzahl an Patienten pro Tag mag eine Empfehlung zur Nutzung von Kontaktlinsen für Menschen, die bisher ausschließlich Brille tragen, für die Sehspezialistin momentan weniger wichtig erscheinen. Das ist natürlich nachvollziehbar, allerdings sollte der Wert zusätzlicher Kontaktlinsenträger für eine Praxis oder ein Augenoptikgeschäft nicht unterschätzt werden, ergeben sich daraus doch zusätzliche Cross-Selling-­Möglichkeiten sowie Em­pfehlungen an Familie und Freunde der Patientin. Momentan deutet nichts darauf hin, dass sich die Arbeitsbedingungen für den Berufsstand in näherer Zukunft einfacher gestalten werden. Daher ist es essenziell, Wege zu finden, um frühere Gewohnheiten – einschließlich der proaktiven Empfehlung von Kontaktlinsen gegenüber Linsen-Neulingen – wieder aufzunehmen. So bietet eine potenzielle Neuanpassung von Linsen bei erfahrenen Kontaktlinsenträgerinnen sowie die erstmalige Anpassung bei Kunden, die bisher keine Erfahrung mit dem Tragen von Linsen haben, wie im Folgenden erläutert, einige wichtige Vorteile für diese.

Schritte zur Desinfektion von Probelinsen

Abb. 2.: Die zur Desinfektion und Aufbewahrung von wiederverwendbaren Probelinsen notwendigen Schritte (verfügbar auf contactlensupdate.com)

© Contect Lens Update

Tragen von Linsen und die Erfahrung während der Pandemie

Sehspezialistinnen gingen also dazu über, neben einer Notversorgung auch ihre routinemäßigen Leistungen wieder aufzunehmen – unter Beachtung aller dafür notwendigen Schutzmaßnahmen. Aber was taten die Patienten? Eine Reihe von Umfragen hatte zum Ziel, die Auswirkungen der Pandemie auf Kontaktlinsenträgerinnen besser zu verstehen. Die kombinierten Ergebnisse von Umfragen, die im Vereinigten Königreich sowie in Spanien, Frankreich, Deutschland, Italien, Österreich und Südkorea durchgeführt wurden, zeigen, dass die Nutzung von Kontaktlinsen während der Lockdowns zurückging. Das berichteten zwischen 43 und 72 Prozent der Nutzer [49-52] und gaben als Hauptgrund für das seltenere Tragen von Linsen einen „geringeren Bedarf“ während des Aufenthalts zu Hause an. [49-51] Gleichzeitig kam es zu einem Anstieg bei der gelegentlichen Nutzung von Linsen, der anhand der Antworten spanischer Kontaktlinsenträger verdeutlicht wird – hier kam es bei der gelegentlichen Nutzung zu einer Verdopplung der Zahlen von 29 auf 62 Prozent. [50] Zahlreiche Teilnehmende der Umfrage äußerten den Wunsch, zu ihren ursprünglichen Tragegewohnheiten zurückzukehren, wobei 90 Prozent davon ausgingen, dies innerhalb von zwei bis drei Monaten nach dem Ende des Lockdowns zu erreichen. [52] Eine positive Veränderung ergab sich in Bezug auf die sachgerechte Handhabung von Kontaktlinsen: Fast 80 Prozent der Kontaktlinsennutzer gaben an, nun sorgfältiger auf die Einhaltung der empfohlenen Praxis im Umgang mit ihren Linsen zu achten, wobei 63 Prozent von einer Anpassung ihrer Gewohnheiten beim Händewaschen berichteten, das sie nun sorgfältiger und häufiger ausführten. [51,52]

„Masken-assoziiertes Trockenes Auge“ (MATA)

Es ist weiterhin ein günstiger Moment, um das Thema der korrekten Handhabung von Linsen erneut gegenüber den Patientinnen anzusprechen und sie daran zu erinnern und zu ermutigen, sich an die empfohlenen Hygienemaßnahmen im Umgang mit Kontaktlinsen zu halten. Die potenziellen Veränderungen in der Lebensweise der Patienten und die sich daraus ergebenden veränderten Tragegewohnheiten können ein guter Anlass sein, um mit diesen über die Möglichkeit der Nutzung von Tageslinsen zu sprechen und deren Vorteile – wie beispielsweise die erhöhte Flexibilität beim Tragen, den Wegfall der Pflege und die geringere Anzahl an Nebenwirkungen im Vergleich zu wiederverwendbaren Linsen – hervorzuheben. Patientinnen berichteten außerdem von einer häufigeren Nutzung digitaler Geräte und damit verbundenen Symptomen des Trockenen Auges in den vergangenen Monaten. Dabei dient die Nutzung dieser Geräte hauptsächlich der Kommunikation und Unterhaltung [53] sowie der Arbeit, Aus- und Weiterbildung und der Durchführung von Videokonferenzen. Es ist nicht überraschend, dass 41 Prozent der Kontaktlinsenträger berichten, seit dem Beginn der Pandemie bei der Durchführung dieser Tätigkeiten häufiger das Gefühl von trockenen Augen zu haben. [52] Es ist wichtig, diese Personen bei Kontrolluntersuchungen hinsichtlich ihrer aktuellen Sehgewohnheiten zu befragen, die sich – ebenso wie der Tragekomfort ihrer Kontaktlinsen – verändert haben können.

Auch Menschen, die ausschließlich Brille tragen, könnten während der Pandemie möglicherweise mit neuen Augenproblemen zu kämpfen haben. So ist wohl jedem Brillenträger das Problem beschlagener Gläser bei gleichzeitigem Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes bekannt. Menschen, die in ihrem Alltag über einen längeren Zeitraum hinweg eine Maske tragen müssen, entwickeln eventuell ebenfalls Symp­tome eines Trockenen Auges. Dieser Effekt wird als „Masken-assoziiertes Trockenes Auge“ (MATA) bezeichnet. [54] Beides wird durch die nach oben aus der Maske entweichende Atemluft verursacht, die entweder auf den Brillengläsern kondensiert oder wiederholt über die Augenoberfläche geleitet wird, wodurch es zur Verdunstung des Tränenfilms und damit zu Symptomen des Trockenen Auges kommt. Raten Sie Ihren Patientinnen, einen gut sitzenden Mund-Nasen-Schutz zu tragen, auf dem die Brille aufliegt, und spezielle Antibeschlag-Tücher oder -Sprays zu nutzen, um das Beschlagen der Brille zu verringern. Das mag für einige Patienten letztendlich jedoch nicht ausreichend sein, weshalb ein Wechsel zur Nutzung von Kontaktlinsen von Vorteil sein kann. Zu Beginn der Pandemie gab es Berichte darüber, dass Gesundheitspersonal Kontaktlinsen unter der persönlichen Schutzausrüstung bevorzugte. Nachdem das Tragen von Masken inzwischen in allen Bereichen zugenommen hat, kann es sein, dass auch andere Personen diese Option in Erwägung ziehen. Eine gut sitzende Maske, regelmäßige Pausen bei Tätigkeiten, die zu einem Austrocknen des Auges führen – wie beispielsweise einer längeren Nutzung digitaler Geräte – und Benetzungstropfen können zu einer Linderung bei MATA beitragen. Diese Ratschläge wurden in Form einer mehrsprachigen Infografik für Patientinnen und Patienten auf CovidEyeFacts.org zusammengefasst (siehe Abb. 3).

Infografik zu den Ursachen des Masken-assoziierten Trockenen Auges

Abb. 3.: Patientenorientierte Infografik zu den Ursachen des Masken-assoziierten Trockenen Auges (MATA) und den Lösungen dafür, verfügbar in 32 Sprachen auf CovidEyeFacts.org

© Covid Eye Facts

Ein Blick in die Zukunft

Was ist der aktuelle Stand der Kontaktlinsenpraxis nach einem Jahr Pandemie? Was hat der Berufsstand in den vergangenen Monaten gelernt, in denen ihm nichts anderes übrig blieb, als der steilen Lernkurve zu folgen, die die Pandemie von ihm gefordert hat? Und sind wir dank der Erfahrung, die wir aus dem Jahr 2020 ziehen können, gerüstet für die Zukunft? Ein Rückblick auf dieses außergewöhnliche Jahr zeigt deutlich, dass sich unser Berufsstand, wie zahlreiche verwandte Felder im Bereich des Gesundheitswesens, als äußerst widerstandsfähig erwiesen und seine außerordentliche Professionalität und Anpassungsfähigkeit unter Beweis gestellt hat. Dabei stand und steht die Versorgung der Patientinnen zurecht im Zentrum all unseren Handelns. Wir gewährleisten, dass die Behandlungsumgebung so sicher wie möglich ist und dass notwendige Versorgungsleistungen im Bereich der Augenheilkunde und Augenoptik auch weiterhin angeboten werden können.

Alle, die Kontaktlinsenversorgung anbieten, haben großen Einsatz gegenüber ihren Patienten gezeigt. So fanden nicht nur weiterhin Routineuntersuchungen für bestehende und neue Linsenträgerinnen statt, sondern es gibt auch Berichte über Kolleginnen und Kollegen, die ihren Patientinnen während des Lockdowns Kontaktlinsen nach Hause geliefert haben. Beim Blick in die Zukunft ist es wichtig zu verstehen, dass die aktuell in der klinischen Praxis erforderlichen Maßnahmen voraussichtlich auch auf absehbare Zeit Bestand haben und tatsächlich Teil einer „neuen Normalität“ sein werden. Vor diesem Hintergrund ist es von grundlegender Bedeutung sicherzustellen, dass den Patienten das gesamte Spektrum an Versorgungsleistungen rund um das Thema Kontaktlinsen angeboten werden kann und dass sich Sehspezialistinnen darauf einstellen, auch Neuanpassungen als Teil dieses Leistungsportfolios anzubieten, sofern sie dies nicht bereits tun. Dazu gehört auch, auf die Bedürfnisse von Patienten eingehen zu können, die eine aufwendige Anpassung benötigen und die unter Erkrankungen der Hornhaut leiden, sowie sicherzustellen, dass erfahrenen Kontaktlinsenträgerinnen genau die Linsen angeboten werden, die am besten zu ihrer Lebensweise passen. Wir können stolz darauf sein, wie unser Berufsstand diese Krise bislang gemeistert hat. Nun ist es wichtig, diese Tatkraft und Energie weiter beizubehalten, während wir uns im Rahmen der grundlegenden Maßnahmen zum Gesundheitsschutz bewegen, die derzeit für die klinische Praxis vorgeschrieben sind.

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Autoren

Karen Walsh, MCOptom, PGDip
Karen Walsh arbeitet als Teamleiterin und forschende Ärztin am Centre for Ocular Research & Education (CORE) der University of Waterloo (Kanada). Sie erhielt Honorare von Alcon, CooperVision und Johnson & Johnson Vision.

Lyndon Jones, DSc, FCOptom
Dr. Lyndon Jones ist Professor an der School of Optometry and Vision Science und Direktor des Centre for Ocular Research & Education (CORE) an der University of Waterloo (Kanada). CORE erhielt Forschungsförderung und Honorare für Lehraufträge von Alcon, Allergan, CooperVision, GL Chemtec, J&J Vision, Menicon, Nature’s Way, Novartis, PS Therapy, Shire, SightGlass und Visioneering Technologies.

Dieser Artikel ist eine Übersetzung des Artikels „COVID-19: A Year in Review and the Impact on Contact Lens Practice“, der zuerst in der digitalen Ausgabe von Contact Lens Spectrum Februar 2021 veröffentlicht wurde. Die Zweitveröffentlichung in der DOZ und die Übersetzung des Beitrags erfolgten mit freundlicher Genehmigung von Contact Lens Spectrum, veröffentlicht von PentaVision LLC, Ambler, PA USA. © 2021 Alle Rechte vorbehalten. Für weitere Informationen besuchen Sie bitte die Seite www.clspectrum.com.